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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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Ländervergleich. Deutschland ist eines der reichsten Länder in der Welt, eines der reichsten in der Europäischen Union. Der Sozialstaat garantiert Bedürftigen ungewöhnlich hohe Transferzahlungen. Dennoch ist Deutschland ein Land mit einer hohen Gefahr zu verarmen. Statistisch gesehen. Was das statistische Armutsrisiko angeht, sind Ungarn oder die Slowakei weitaus ungefährlicher. 10 Am sichersten ist die Tschechische Republik. Da ist die »Armutsgefährdungsquote« nur etwa halb so hoch wie in Deutschland. So sieht die Welt durch die Definitionsbrille der Armutsforscher aus.
    Europas Armutsflüchtlinge haben das offenbar noch nicht begriffen. Sie fliehen regelmäßig aus den armutssicheren Ländern ausgerechnet in das Zentrum der Armut, nach Deutschland. Eigentlich müssten die Migrationsströme umgekehrt verlaufen. Länder wie Ungarn oder Tschechien sind dem Ideal der Armutsforscher bedeutend näher: Die niedrigste Armutsgefährdungsquote ist nämlich erreicht, wenn alle nichts haben. Dann ist keiner mehr arm. 11 Die relative Armut sagt nichts über den tatsächlichen Wohlstand der Menschen aus. Der Begriff Armut ist irreführend, wenn man Lebenssituationen in Deutschland beschreiben will.
    Doch Armut ist ein besonders wirksames Wort. Es projiziert Bilder im Kopf. Die Lobbyisten der Sozialindustrie haben das erkannt und für sich ausgenutzt. 12 Ulrich Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und so etwas wie der Cheflobbyist der Armutsszene. In einem langen Gespräch hat er mir erklärt, wie er und einige seiner Sozialmanagerkollegen sich vor Jahren in einer strategischen Entscheidung auf das Wort »Armut« geeinigt haben: »Armut war für uns immer auch ein politischer Kampfbegriff«, hat er zugegeben. Eine Anleitung zum Kampf mit dem Begriff gibt er in seinem Buch »Armes Deutschland«: »Armut ist ein zutiefst interessengebundener Begriff. Eingebettet in parteitaktisches oder machtpolitisches Kalkül, eignet er sich trefflich, um Regierungen in Erklärungsnöte zu bringen und ihr Versagen nachzuweisen.« 13
    Das machtpolitische Kalkül war überaus erfolgreich. Heute wird bereits von den »Ärmsten der Armen« gesprochen. 14 Gemeint sind damit Familien in Deutschland. Die »Ärmsten der Armen« war ursprünglich die Bezeichnung für Slumbewohner in Kalkutta, auf deren Schicksal Mutter Theresa das Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit lenkte.
    Der hundertjährige erfolgreiche Kampf gegen die Armut
    Die absolute Armut hat mit der relativen Armut in Deutschland gottlob nichts gemein. Das garantiert der deutsche Sozialstaat. Seit Generationen. Die Bekämpfung der Armut mit System ist keine Erfindung der Bundesrepublik. Bereits im 19. Jahrhundert diskutierten Politiker und Wohlfahrtsverbände im »Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge« (kurz Deutscher Verein) über das Existenzminimum. Wissenschaftler wurden beauftragt herauszufinden, wie viele Kalorien ein erwachsener Mann mindestens benötigt und wie viel weniger Frauen und Kinder. Die ersten Regelsätze gab es in der Fürsorge schon 1898: wöchentlich 3 Mark für das Familienoberhaupt, 2,50 Mark für »die beim Manne lebende Ehefrau«. 15
    Auf dieser Welt hat niemand eine ähnlich lange Erfahrung mit der Berechnung von Regelsätzen und der Zusammenstellung von Warenkörben wie der deutsche Sozialstaat. Die Listen, in denen aufgeführt wird, was Bedürftigen als Existenzminimum zusteht, sind Spiegelbilder ihrer Zeit. In den 70er Jahren hielt das Sozialamt für Frauen unter anderem sieben Schlüpfer, zwei Büstenhalter, zwei Hüfthalter und zwei Blusen für angemessen. 16 Über das Recht auf eine Zweithose für Männer wurde damals ausgiebig vor den Sozialgerichten gestritten. Später kamen Fahrrad, Radio, Schwarz-Weiß-Fernseher und schließlich Farbfernseher dazu. 1985 war der Warenkatalog schon viele Seiten dick und geradezu absurd detailliert. Darin stand beispielsweise: »150 Gramm Delikatessgurken (nicht in Scheiben)«, »100 Gramm Eiscreme, Fürst-Pückler-Art, Haushaltspackung« oder ein Ticket » DB -Schienenverkehr, Hin- und Rückfahrt, 2. Klasse, 30 km«. 17 Armut in Deutschland, schon vor 30 Jahren beinhaltete das ein Recht auf eine Haushaltspackung Fürst-Pückler-Eis.
    Wer sich die Geschichte der Warenkörbe anschaut, wird feststellen: Alle paar Jahre lag mehr im Körbchen. Diejenigen, die von Leistungen des Sozialstaates abhängig sind, haben an der Steigerung des materiellen Wohlstandes

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