Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Welt kaum eine Gesellschaft mit so geringer sozialer Mobilität gibt wie die in Deutschland. Das gilt besonders für diejenigen mit dem niedrigsten sozialen Status. Die Unterschicht fühlt sich zu Recht abgehängt.
Über viele Jahrzehnte hat die Gesellschaft versucht, alle sozialen Probleme mit Geld zu lösen. Es ist der Reflex des deutschen Sozialstaates. Die Transferzahlungen an die Betroffenen wurden erhöht und erhöht. Und dennoch klafft der gefühlte und auch der tatsächliche Graben in der Gesellschaft immer weiter auseinander. Auf die Erfolglosigkeit der Methode Geldverteilen antwortet der Sozialstaat mit: mehr Geld verteilen. Deutschlands Strategie bei der Bekämpfung der Benachteiligung gleicht der einer Fliege, die im Zimmer eingeschlossen wurde. Mit Anlauf knallt sie gegen die Scheibe. Und noch mal. Und noch mal. Und noch mal.
Wohnen, Essen, Kleidung, Geld – Deutschland hat stets die Folgen der Benachteiligung bekämpft. Aber nicht die Ursachen. Nach vielen erfolgreichen Jahrzehnten verpufft die Methode Geldverteilen inzwischen beinahe wirkungslos. Die herrschende Lehre, wonach der Geldmangel alle Fragen beantwortet und Geldverteilen alle Probleme löst, hat sich als Irrtum erwiesen. Verantwortlich für das Scheitern ist nicht der angebliche Geiz des teuersten Sozialstaates in der Geschichte Deutschlands. Im Gegenteil: Schuld ist die falsche Diagnose »Armut«, auf die nur eine falsche Therapie folgen kann. Schuld ist ein unrealistisches Bild der Menschen, die Hilfe brauchen. Schuld ist die ausschließliche Fixierung der Sozialideologie auf »Armut«. Schuld ist der Kampfbegriff »Armut«.
Schade. Armut war eine so praktische Universalerklärung. Simpel und knackig. Sie passte in jede Überschrift. Die verwendeten Zahlen simulierten Durchblick, exakt bis auf die Stellen hinterm Komma. Das beruhigt. Das tatsächliche Phänomen neue Unterschicht hingegen ist beunruhigend. Es lässt sich nicht in Zahlen und Tabellen fassen. Und schon gar nicht in Euro und Cent umrechnen.
Was ist Unterschicht?
Wenn Unterschicht nicht Geldarmut bedeutet, was dann? Woran erkennt man sie? Wie unterscheiden sich Familien wie die Thiels von der bürgerlichen Gesellschaft? Im Folgenden will ich versuchen, einige Merkmale und Kennzeichen zu erläutern. Es ist eine Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Du bist, was du arbeitest
Verbissen kämpften Peter und Anja Wilke 21 aus dem Ruhrgebiet für ihre Krankheit. Nicht für die Gesundheit. Sie wollten krank sein. Jedenfalls offiziell, amtlich beglaubigt und mit Stempel. Dann hätte das Jobcenter endlich aufgehört zu nerven, mit Job- oder Fortbildungsangeboten. Zuletzt versuchte Peter Wilke es mit einer Depression. »Ich merke, dass ich immer dünnhäutiger werde«, sagte er lächelnd. »Ich kann mich rasend schnell aufregen. Besonders, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle.« Als ich die Wilkes 2010 traf, lebten sie mit ihren beiden Kindern in einer angenehmen Wohnung auf knapp 100 Quadratmetern. Vater Peter war seit 13 Jahren arbeitslos, seine Frau Anja seit sieben Jahren. Alle staatlichen Zahlungen zusammengerechnet kamen sie auf ein Haushaltsnettoeinkommen von nicht ganz 2000 Euro. »Mal ehrlich«, sagte Peter Wilke. »So viel könnte ich doch nie verdienen, auf keinen Fall. Und die Anja erst recht nicht. Mensch, die sollen uns in Ruhe lassen.«
Hätte lediglich einer der Eheleute einen Job gefunden, wäre die Familie dennoch im Hartz- IV -Bezug geblieben. Nur, wenn beide gleichzeitig vermittelt worden wären, hätte sich ihre wirtschaftliche Situation spürbar verbessern können. Diese ökonomische Logik ist auch in den Jobcentern bekannt. Ein arbeitsloses Paar bekommt man nur im Paket vermittelt, das weiß jeder Fallmanager. Und verschwendet von vorneherein nur äußerst ungern Mühe an »Bedarfsgemeinschaften«, in denen zwei Erwachsene langzeitarbeitslos sind.
Auch im Leben von Gabi Wert aus Essen-Katernberg gab es etwas, das sie als objektiven Hinderungsgrund empfand, arbeiten zu gehen: »Schulden«, war ihre knappe Erklärung. Hätte sie einen Job angenommen, wäre ihr jeder Euro über dem Sozialhilfesatz abgezogen und für den Schuldendienst verwendet worden. Genauso wie Frau Wert waren auch die arbeitslosen Erzeuger ihrer Kinder nicht auf Arbeitssuche. Warum nicht? »Na, das versteht doch wirklich jeder«, sagte Wert. »Alimente, Alimente.« Dieselbe Logik wie bei ihren Schulden: Väter, die Geld verdienen, müssen Unterhalt zahlen. Was
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