Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
auch wenig ambitioniert und interessiert, wenn es darum geht, was ihre Kinder lernen. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat Väter und Mütter gefragt, was unbedingt zu einer guten Bildung dazugehört. 53 Fremdsprachen lernen (63 Prozent), das aktuelle Geschehen verfolgen (62 Prozent) und einen sinnvollen Umgang mit Medien lernen (56 Prozent), das steht nur bei den Befragten aus »höheren sozialen Schichten« oben auf der Wunschliste.
Ganz anders bei Eltern mit niedriger Bildung. Keines der angebotenen Lernziele wird auch nur annähernd von der Hälfte für wichtig erachtet. Nicht mal ein Drittel (31 Prozent) hält einen sinnvollen Umgang mit Medien für ein anstrebenswertes Lernziel. Nur eines soll die Schule nach Ansicht der »schwächeren sozialen Schichten« vermitteln: Lernen mit dem Computer umzugehen, halten 60 Prozent der Eltern für unbedingt notwendig.
Wenn die Lebenschancen von Kindern bildungsferner Eltern nicht ausreichend gefördert werden, empfindet unsere Gesellschaft das zu Recht als unerträglichen Skandal. Die Eltern selbst teilen die Empörung nicht durchweg. Auch das zeigt die Allensbach-Studie. Nur 59 Prozent der Eltern aus »schwächeren sozialen Schichten« haben überhaupt den Wunsch, dass es ihren Kindern einmal besser gehen soll als ihnen selbst. 32 Prozent sagen sogar explizit, sie sind »zufrieden, wenn es meinem Kind genauso geht«. 54 Zufrieden, wenn ihr Kind »unten« bleibt.
Du bist, was du glotzt
»Schnell, schnell! Beeil dich!« Karin Jansen 55 zerrte ihren Sohn Jerome aus der Schule nach Hause. Dort wartete ihre fünf Monate alte Tochter alleine auf die Rückkehr der Mutter. Frau Jansen war einverstanden, dass ich sie begleite. 56 »Mit der Kleinen kann nix passieren. Ich hab sie in der Wippe festgeschnallt«, sagte Frau Jansen. Als sie die Wohnungstür öffnete, hörte man es schon plärren: nicht das Kind, sondern das Fernsehprogramm. Keinen halben Meter entfernt von einem riesigen Flachbildfernseher lag das Mädchen in seiner Wippe. Ohne Chance, an dem Geflimmer vorbeizuschauen. Frau Jansen fragte, ob ich einen Kaffee möchte. »Kümmern sie sich nur erst mal um ihre Tochter«, sagte ich. Da packte sie die Wippe, zog sie ein paar Zentimeter zurück und holte Tassen.
Karin Jansen war arbeitslos und »teilweise alleinerziehend«. Der Vater der Kinder lebte nur hin und wieder bei der Familie. Jerome war in seinem Zimmer verschwunden. Bald übertönte sein Fernsehlärm den Lärm der Wohnzimmerglotze. Jerome besaß zwar einen eigenen Fernseher, aber keinen Schreibtisch. Die Prioritäten waren klar gesetzt.
Es gibt kaum einen Bereich, bei dem die unterschiedlichen Lebensstile der sozialen Schichten so sichtbar werden wie bei der Mediennutzung. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, die Welt des gedruckten Wortes ist für die Unterschicht ein fremder, unbekannter Planet. Auf ihrem Planeten existieren nur flimmernde Medien. Das »Unterschichtenfernsehen« hat sich zum Klassenmerkmal entwickelt. In ganzen Stadtvierteln gibt es kaum TV -Fernbedienungen, auf denen ARD oder ZDF im einstelligen Tastenbereich programmiert sind.
Was die interessierte und informierte Mittelschicht für einen Medienhype hält, überschreitet in Hellersdorf regelmäßig die Wahrnehmungsschwelle nicht. Und die Debatte über die Bedeutung der Bildung erreicht die Unterschicht erst, wenn Sender wie RTL sich der Sache annehmen. Auch bei den Medien und der durch sie vermittelten Version der »Wirklichkeit« lebt die Unterschicht in einer Parallelwelt.
Das gilt ganz besonders für Kinder. Genau wie bei Jerome gehört für bildungsferne Eltern die großformatige Glotze zur unverzichtbaren Grundausstattung des Kinderzimmers. Hauptschüler verfügen über mehr Fernseher, erheblich mehr Flachbildfernseher, mehr DVD -Spieler und mehr Spielkonsolen als Gleichaltrige aus Realschule oder Gymnasium. 57 Zudem hat die Medienwissenschaftlerin Ingrid Paus-Hasebrink festgestellt, »dass Eltern aus sozialen Problemlagen ein sehr inkonsequentes Mediennutzungsverhalten an den Tag legen«. 58 Meist definieren sie keine Regeln für den Medienkonsum. Und falls doch, dann halten sie sich selbst nicht daran. Im Ergebnis glotzen Kinder aus der Unterschicht völlig unbeaufsichtigt und wählen ihr Programm alleine aus: Kinder unter zehn Jahren bevorzugen Zeichentrickfilme, die zusätzlich crossmedial vermarktet werden. Da wartet die passende »Quengelware« schon an der Supermarktkasse. Und die Sendung mit der Maus? Die ist
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