Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
ein Star bei den Kindern, deren Eltern das Abitur haben. Unterschichtskinder sind abgehängt, sogar beim Glotzen.
Die »World Vision Studie« hat Kinder befragt und dabei herausgefunden, dass regelmäßiges Dauerglotzen von mehr als zwei Stunden täglich bei Jungen aus »den unteren Schichten« viereinhalb Mal häufiger ist als bei Mädchen aus »gehobenen Schichten«. 59
Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ( KfN ), nennt den krank machenden, zügellosen Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen »mediale Verwahrlosung«. Dazu gehört für Pfeiffer nicht nur Fernsehen, sondern auch das Spielen von Computer- und Videospielen. Pointiert zusammengefasst behauptet Pfeiffer: Übermäßiger Medienkonsum macht Kinder dick, krank, aggressiv und dumm. Hört sich dramatisch an. Und genau das ist es auch. Die empirischen Nachweise und die Ergebnisse internationaler Forscher, mit denen Pfeiffer seine These untermauert, sind erdrückend. 60
Von der »medialen Verwahrlosung« ist die Unterschicht ganz besonders betroffen. Sie ist die Hauptrisikogruppe. Das hat Pfeiffers Mitarbeiter am KfN , Thomas Mößle, in mehreren Studien nachgewiesen. 61 So konsumieren Zehnjährige aus bildungsfernen Familien acht Mal häufiger Filme oder Spiele, die nur für Erwachsene freigegeben sind, als Gleichaltrige aus bildungsnahen Familien. Rechnet man Computer- und Fernsehzeiten zusammen, dann sitzen Zehnjährige aus der Unterschicht fast drei Stunden vor einem Bildschirm. Täglich. Samstags und sonntags sogar viereinhalb Stunden. Kinder aus der Unterschicht verbringen also im Schnitt mehr Zeit mit flimmernden Medien als im Schulunterricht. In dieser Zeit bewegen sie sich nicht, spielen nicht mit Freunden, machen keine Hausaufgaben, lesen nicht, üben kein Instrument. Und lernen nichts.
Du bist NICHT, woher deine Eltern kommen
Die Männer heizten den Grill an. Jungs in Badehosen jagten sich mit Wasserpistolen durch die kleine Reihenhaussiedlung. Klaviergeklimper von einem übenden Kind klang aus dem Haus gegenüber. Auf beiden Seiten des kniehohen Gartenzauns standen Frauen. Sie lachten und prosteten sich mit Prosecco zu. Tansel Özdal hatte Geschirr in der Hand. »Guck mal, Ute. Die Löffel hier hab ich schon seit ewig in der Schublade. Das sind aber nicht meine.« Ein prüfender Blick der Nachbarin: »Die könnten Karl-Heinz von drüben gehören.«
Tansel Özdal war stolz auf dieses nachbarschaftliche Zusammenleben. »Wir vertrauen uns hier sogar unsere Kinder an. Die erlauben mir, ihre Kinder zu erziehen, und ich erlaube denen, mein Kind zu erziehen. Mehr geht nicht.«
Dies war nicht Bullerbü oder Waltons Mountain, sondern der südlichste Rand von Berlin-Neukölln. Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister des Bezirks, hatte mich in das Reihenhausidyll geschickt, um mir die andere, die heile Welt in seinem Problembezirk zu zeigen. Es war ein Flüchtlingslager für intakte, bildungsinteressierte Aufsteigerfamilien, die sich nach der Spießigkeit einer deutschen verkehrsberuhigten Zone sehnten. »Wir hatten eine tolle Wohnung in Kreuzberg. Aber jede Nacht der Lärm und Hupkonzerte. Klar, die Typen stehen ja alle erst am Nachmittag auf«, sagte Mehmet Gündüz.
Die Siedlung grenzt an einen Teich, der schon vor über hundert Jahren angelegt wurde. Nach ihm wird die ganze Gegend im Süden Berlins benannt. Seit Generationen heißt der Tümpel: Türkenpfuhl. So steht es im Stadtplan. Zuerst war der Name, die Türken kamen erst danach. Rund die Hälfte der Eigenheime gehört Berlinern mit türkischen Wurzeln. Aber auch Familien aus Thailand, China und Liberia wohnen hier. Und Deutsche. Die Bewohner des Türkenpfuhls kommen aus allen Teilen der Welt, doch ihr Lebensstil passt zusammen, als wären sie gemeinsam aufgewachsen. Man spricht Deutsch. Die Wege werden gefegt. Keiner trägt Kopftuch. Die Kinder grüßen. In allen Häusern ist Rauchen verboten, sodass die Raucher sich immer am Gartenzaun treffen. Genau so hatte man sich die multikulturelle Gesellschaft immer vorgestellt. »Tja, hier funktioniert Multikulti«, sagte Tansel Özdal.
Aber nur in der Mittelschicht. Keine drei Kilometer stadteinwärts ist friedliches Zusammenleben eine naive Illusion. Da endet die Toleranz, wenn einer vom anderen glaubt: Ey, was guckst du?
Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Schulversagen, und Geldmangel – wenn es um soziale und gesellschaftliche Probleme geht, sind Menschen mit Migrationshintergrund stets
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