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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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was kommt bei türkischen Eltern so gut wie nicht vor.«
    Das Versagen des Staates
    Wenn Eltern Probleme mit der Erziehung haben, bedeutet das noch lange nicht, dass sie zur Unterschicht gehören. Nur weil eine Familie ihren Medienkonsum nicht in den Griff bekommt, lebt sie nicht gleich in einer Parallelgesellschaft. Von Verwahrlosung kann noch nicht die Rede sein, wenn sich jemand zu wenig bewegt und zu viel vom Falschen isst. Viele Arbeitslose, die über lange Zeit keinen Job gefunden haben, sind nicht in der Gefahr, dass ihnen die Kontrolle über ihr Leben entgleitet. Wer nur in einem Lebensbereich mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, gehört meist nicht zur abgehängten Randgruppe der Gesellschaft. Unterschicht bedeutet, von vielen Problemen gleichzeitig betroffen zu sein: langzeitarbeitslos, plus wenig Geld, plus chronisch krank, plus mit der Erziehung überfordert.
    Warum aber leiden so viele Familien gleich unter einem ganzen Katalog unterschiedlicher sozialer Benachteiligungen? Warum kommt so oft eins zum anderen? Warum sind die Schwierigkeiten so ungleich verteilt? Erst durch die vorangegangene Analyse der charakteristischen Unterschichtsmerkmale wird deutlich, wie sehr sich die Einzelprobleme jeweils gegenseitig verstärken. Das Vorhandensein des einen Problems ist ein Risikofaktor für das Entstehen weiterer. So kann es am Ende nicht verwundern, dass sich die sozialen Schwierigkeiten nicht gleichmäßig verteilen, sondern in einem Teil der Gesellschaft ballen, und daraus schließlich eine soziale Problemzone entsteht: die Unterschicht.
    Der Staat als Erzieher
    Die typischen Merkmale der Unterschicht sind zudem so unterschiedlich nicht, wie sie zunächst erscheinen. Sie haben durchweg eine enge Verbindung zu Defiziten bei der Bildung. Bildungsferne ist viel mehr als ein Merkmal der Abgehängten. Es ist ihr größter gemeinsamer Nenner. Mangelnde Bildung ist die Signatur der Unterschicht.
    Die Erkenntnis, dass Familien aus der bildungsfernen Unterschicht von einer ganzen Fülle sozialer Problemlagen gleichzeitig betroffen sind, widerspricht dem Menschenbild, das sich diese Gesellschaft von der abgehängten Minderheit macht. Die Mehrheitsgesellschaft und auch die Politik lebt in der Illusion, die Menschen am unteren Rand seien wie sie selbst: kompetente, motivierte, fähige Mittelschichtsmenschen – nur eben mit weniger Geld. Es ist eine bequeme, beruhigende Vorstellung, die dem Bedürfnis nach einfachen Lösungen entspricht. Geldmangel? Dagegen kann man doch was tun: zahlen.
    Dieses unrealistische und beschönigende Menschenbild hat Folgen, denn daran richtet sich die gesamte Strategie der Hilfe aus, an einem Irrtum. Der Sozialstaat versucht, Unterschichtsfamilien mit Methoden zu helfen, die maßgeschneidert sind für intakte Mittelschichtsfamilien. Letztere können ihre Lebenssituation mit jedem zusätzlichen Euro in der Tat verbessern. Den meist völlig desolaten Familien, die mir Einblick in ihr Leben gewährt haben, hilft eine höhere staatliche Stütze nicht. Geld putzt keine Wohnung und auch keine Zähne. Geld weckt einen morgens nicht auf. Geld liest Kindern nicht vor, singt und spricht nicht mit ihnen und zeigt ihnen nicht, was man statt glotzen mit seiner Zeit anfangen kann.
    Die ausführliche Analyse der vielen kulturellen Unterschichtsmerkmale macht deutlich, wie verhängnisvoll die Reduzierung der Unterschicht auf »Armut« sich auf die Strategie der Hilfe auswirken muss. Wer die Unterschiede in der Lebensweise und bei den Wertvorstellungen leugnet, wer Geldmangel für die eigentliche, die einzige Ursache für soziale Benachteiligung hält, wird zwangsläufig versuchen, die Probleme mit immer höheren Transferzahlungen zu lösen. Über Jahrzehnte hat der deutsche Sozialstaat alles unternommen, um den Spalt in der Gesellschaft mit Geld zuzuschütten. Das hat nicht funktioniert. Geld verteilen hilft nicht. Soweit die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht lautet: Bildung hilft.
    Die heilende Kraft des Lernens haben Millionen Menschen erlebt. Sie wurde in ungezählten Studien nachgewiesen, in kleinen und in großen. Die eindrucksvollste begann im Jahr 1962 in dem Städtchen Ypsilanti im US-Bundesstaat Michigan: das weltberühmte »Perry Preschool Project«. 68
    In der Nachbarschaft der Perry-Grundschule lebten vor allem afroamerikanische, bildungsferne Familien. Ein Teil der Kinder aus diesem Viertel wurde in einem Kindergarten zwei Jahre lang von speziell ausgebildeten Pädagogen intensiv

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