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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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Dienstklassen« haben in einigen Bundesländern eine über sechs Mal geringere Chance, aufs Gymnasium zu kommen, als Kinder von Akademikern. 77 Soziale Ungerechtigkeit ist das Markenzeichen des deutschen Bildungssystems.
    Warum ist die Politik unfähig umzusteuern? Warum gelingt es ihr nicht, genügend Geld für ein gerechtes Bildungssystem lockerzumachen? Weil Bildung einen mächtigen Konkurrenten hat: den Wohlfahrtsstaat. »Bildung für alle« – Ende der 60er- Anfang der 70er Jahre einte dieses Ziel große Teile der Gesellschaft. Dann kam die erste Wirtschaftskrise der Bundesrepublik. Seitdem heißt es: Sozialknete für alle. Seit 1970 sind die öffentlichen Ausgaben für den Sozialstaat viereinhalb Mal so stark gestiegen wie die für Bildung. 78 Deutschland hat sich entschieden.
    Probleme mit Methoden des Sozialstaates zu lösen bedeutet Nachsorge. Der Sozialstaat wartet geduldig, bis die Hilfsbedürftigkeit schließlich eintritt. Das ist »Kind-im-Brunnen-Taktik«. Bildung hingegen bedeutet Vorsorge. Ein gutes Bildungssystem verhindert hunderttausendfach, dass Menschen überhaupt erst Hilfe benötigen.
    So eindeutig wie kaum ein anderes Land setzt Deutschland auf Reparatur statt auf Prävention, auf das Verteilen von Transferalmosen vom Staat. Es sind nur Schmerz- und Beruhigungsmittel für die Ausgegrenzten, Opium fürs Volk. Staatliche Stütze macht die Benachteiligung erträglich. Sie beseitigt sie nicht.
    In der falschen Richtungsentscheidung für das Soziale und gegen »education« begegnet uns erneut die aufgehübschte Vorstellung von der Unterschicht als einem ärmeren Abbild der Mittelschicht. Reparatur als sozialpolitische Strategie basiert auf folgender Annahme: Die Familien sind im Prinzip intakt. Die Eltern kommen im Regelfall gut alleine klar und können ihre Kinder in ein selbstbestimmtes erfülltes Leben führen. Hilfe, Reparatur, ist nur in wenigen Ausnahmefällen nötig. Wozu also Prävention im großen Stil? Doch die Prämisse von der heilen Familie gilt bestenfalls für Teile der Mittelschicht.
    Nicht für die Unterschicht. Kinder, deren Begabungen sich nicht entwickeln können, sondern verkümmern, sind typische Schicksale in der Unterschicht. Wer das offen benennt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, man stelle ganze Teile der Gesellschaft unter Generalverdacht. Doch der Verdacht ist angebracht. Wir haben gesehen, dass desolate Familien, Vernachlässigung, Krankheit, Beziehungslosigkeit in der bildungsfernen Unterschicht weitaus häufiger vorkommen, als im Rest der Gesellschaft. Sie sind charakteristische Merkmale der Kultur der Unterschicht.
    Bei der Gewichtung zwischen Bildungssystem und sozialem Sicherungssystem setzen andere Länder einen deutlich stärkeren Akzent auf die Bildung. So schicken sowohl das liberal geprägte Großbritannien als auch die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten oder die Niederlande einen weitaus höheren Anteil von Kindern in vorschulische Einrichtungen. Zudem verbringen die Kinder mehr Zeit im Kindergarten. »Diese Politik hat erklärtermaßen zum Ziel, die Abhängigkeit der Leistungsentwicklung eines Kindes von seiner sozialen Herkunft zu minimieren, um gleiche Bürgerrechte für alle Gesellschaftsmitglieder zu sichern«, schreibt der Bielefelder Soziologe Klaus Hurrelmann. 79
    Der Unterschied zwischen den meisten anderen Ländern und Deutschland ist mehr als eine Frage der Methoden. Hier offenbaren sich unterschiedliche politische Weltanschauungen. Die meisten anderen Länder orientieren sich am »Statuserwerb«. Deutschland hingegen ist die Hochburg der »Statussicherung«. Sicherheit ist der Fixstern der deutschen Politik. Mit Sozialstaat ist in Deutschland das »soziale SICHER ungssystem« gemeint. Dessen Kern ist die Sozialver SICHER ung. Oberstes Ziel jeder deutschen Politik ist es, das einmal Erreichte mit allen Mitteln abzusichern.
    Wenn gut verdienende Abteilungsleiter ihren Job verlieren und nach einem Jahr erfolgloser Arbeitssuche auf Hartz- IV -Niveau absteigen, wird das in Deutschland als unerträgliche Demütigung empfunden, die Tausende auf die Straße treibt. Doch dass Millionen Kinder von Hartz- IV -Empfängern keine Chance bekommen, ihre Begabungen so zu entwickeln, dass sie sich wenigstens auf einen Abteilungsleiterposten bewerben könnten, das erregt die Menschen nicht in gleicher Weise. Einmal unten, immer unten – damit hat Deutschland sich abgefunden. Abstieg widerspricht der Würde eines Deutschen.
    Statussicherheit setzt voraus, dass

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