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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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gehen mit ihnen zum Babyschwimmen. Sie brauchen den Kindergarten nur, wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten wollen. In der Mittelschicht geht es bei der Kindergartenfrage um die Verwirklichung der Lebensziele der Mütter.
    In der Unterschicht geht es um die Verwirklichung der Lebensziele der Kinder. Unterschichtskinder sind existenziell auf den Kindergarten angewiesen, auf »education«. Ihnen fehlt es nicht nur an Bildung, sondern insbesondere auch an Erziehung. Sie brauchen dringend, was im Grundgesetz und in unserem Familienbild nicht vorgesehen ist: Viele Unterschichtskinder brauchen den Staat als Erzieher.
    Die Kindergartenpflicht offenbart einen echten Klassenkonflikt: Ihre Einführung würde die Freiheit vieler engagierter Eltern einschränken. Aber sie wäre ein Segen für die Kinder, deren Benachteiligung bereits im Kreissaal beginnt. Benachteiligung bedeutet, dass die Interessen der Unterschichtskinder keine Chance haben, sich gegen die Familienideologie der Mittel- und Oberschicht durchsetzen. Für die Politik ist ein Vorziehen der Förderpflicht absolut kein Thema.
    Sozialstaat statt Bildung: der große Irrtum
    Außerdem scheut die Politik die Investitionen, die ein massiver Ausbau frühkindlicher Förderung kosten würde. Den Herren über die öffentlichen Haushalte sind gute Kindergärten auf internationalem Niveau zu teuer.
    Eine Milchmädchenrechnung. Auch dafür ist das Perry Preschool Project ein anschauliches Beispiel: Speziell geschulte Pädagogen, Förderung in Kleingruppen und permanente wissenschaftliche Kontrolle – die Kinder aus Ypsilanti besuchten vermutlich den teuersten Kindergarten aller Zeiten. Aber einen besonders profitablen. Eine umfangreiche Kosten-Nutzen-Rechnung von nüchternen Buchhaltern hat ergeben: Die höheren Steuereinnahmen plus die gesparten Kosten bei Sozialhilfe, Drogenprogrammen und Knastaufenthalten ergeben unter dem Strich ein dickes Plus für den Staat: Jeder investierte Dollar brachte einen »Gewinn« von sieben Dollar auf der Habenseite. 72
    Die Wirtschaftlichkeit der Vorschule in Ypsilanti ist keine Ausnahme. »Die unterschiedlichen Kosten-Nutzen-Vergleiche sowohl im internationalen Bereich als auch für Deutschland verdeutlichen, dass es sich bei den öffentlichen Ausgaben für Kindertageseinrichtungen um sehr rentable Ausgaben handelt«, schreibt die Bildungsökonomin des DIW , Katharina Spieß. 73
    Der Kindergarten ist nur ein Beispiel für Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von Investitionen in »education«. Insgesamt haben sich öffentliche Ausgaben für das Bildungssystem als das beste Investment erwiesen, das Staaten überhaupt tätigen können. In Deutschland liegt die Rendite bei etwa zehn Prozent. 74 Besonders hoch ist sie, wenn das Geld für den bildungsarmen Teil der Gesellschaft ausgegeben wird. Dann werden die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit und der Hilfsprogramme gespart. Investitionen in ein faires, effizientes Bildungssystem sind also nicht nur aus Sicht der sozialen Gerechtigkeit die wirksamste Hilfe für die Unterschicht. Es rechnet sich auch volkswirtschaftlich. Gute Bildung ist teuer. Doch eine mangelhafte Bildung ist noch viel teurer. Zehn Prozent Rendite – kein Staat kann es sich leisten, auf diesen Geldsegen zu verzichten.
    Doch genau das scheint Deutschland zu versuchen. Seit über 30 Jahren schon gibt die einstige Bildungsnation weniger für Bildung aus, als der Schnitt der OECD -Länder. Der Bildungsgeiz hat bereits Tradition. Derzeit liegt Deutschland von 37 Nationen auf Platz 31. 75 Trotz aller Versprechungen ist der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ( BIP ) seit der Jahrtausendwende nicht gestiegen, sondern gesunken.
    In erfolgreichen Bildungsnationen schafft Bildung gerechtere Chancen für die Benachteiligten. In Deutschland verstärkt das System die Klassenunterschiede hingegen noch. Dieses Zeugnis stellen die PISA -Studien der deutschen Politik in schöner Regelmäßigkeit aus. Was die Chancengerechtigkeit angeht, das zeigt der jüngste PISA -Bericht, ist die Situation in Deutschland heute etwas weniger schlecht als zu Beginn des Ländervergleichs. 76 Die ungleiche Verteilung der Chancen bleibt allerdings deutlich stärker ausgeprägt als in fast allen anderen OECD -Ländern.
    Der »Chancenspiegel«, eine Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Uni Dortmund, zeigt, welche Dimensionen die soziale Benachteiligung im deutschen Bildungssystem inzwischen angenommen hat. Kinder aus »niedrigen

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