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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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gefährlichen Milieus.
    Ersatzweise haben sich die Bezeichnungen »arm« und »reich« inzwischen durchgesetzt. Doch sie basieren auf einer ideologisch befangenen und gleichermaßen falschen Analyse. Als »armutsgefährdet« gelten Menschen, deren Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt. Der »Reichtum« beginnt nach dieser Definition beim doppelten des mittleren Einkommens. Die Grenzen sind so gesteckt, dass weite Teile der Gesellschaft entweder »arm« oder »reich« sind oder zumindest im Grenzbereich dieser Kategorien. Die Ausnahme wird so zum Normalfall und damit bedeutungslos.
    Wie weit entfernt vom wahren Leben diese Einteilung ist, erfahren Studierende technischer oder naturwissenschaftlicher Fächer, sobald sie ihr Examen abgelegt haben. Als Studenten erfüllten viele von ihnen alle Kriterien, um offiziell als arm zu gelten. Doch bei ihrem ersten Job katapultiert schon ihr Einstiegsgehalt sie in die Region des offiziellen Reichtums. Sie überspringen die immer schmaler werdende Zone dessen, was in Deutschland als ökonomische Normalität gilt. Sollten diese Neureichen ihren neuen Job in Hamburg, Stuttgart oder gar München antreten, werden sie feststellen müssen, dass sie sich mit ihrem angeblichen Reichtum allenfalls eine winzige Wohnung leisten können.
    Die Deutschen strukturieren ihre Gesellschaft entlang einer Einkommensskala. In diesem schlichten Denkmodell reduziert sich das Bild der Gesellschaft auf die Frage, an welcher Stelle die Markierung für Reichtum und für Armut gemacht werden sollen. Doch das monatliche Einkommen ist keine geeignete Größe zur Beurteilung gesellschaftlicher Realität. Es ist der Kategorienirrtum der deutschen Mittelschicht.
    Denn für die beiden Randmilieus ist das Einkommen keine charakteristische Größe. Nicht einmal für die Geldelite. Für sie ist das Vermögen maßgeblich, der Reichtum, den sie bereits besitzen. Da zeigt sich die wahrhaft revolutionäre Umverteilung der Reichtümer der Gesellschaft. Erst das Vermögen ermöglicht Luxus ohne Anstrengung. Es ist der Mitgliedsausweis für die Parallelwelt ganz oben.
    Auch die Unterschicht wird nicht von ihrer Einkommenssituation geprägt. In den 70er Jahren hatten die mittleren Lohngruppen einen Lohnabstand von 40 Prozent zu den Empfängern von Arbeitslosengeld. Seitdem ist der Vorsprung immer weiter gesunken und liegt inzwischen bei: null. 11 Wer auf das Einkommen starrt, wird keinen Unterschied zwischen Arbeitslosen und fleißigen Krankenschwestern, Anstreichern oder Briefträgern feststellen.
    Und dennoch geht ein Riss durch die Gesellschaft. Die Spaltung am unteren Rand ist jedoch keine ökonomische Spaltung, sondern eine kulturelle. Parallelgesellschaft bedeutet, dass ein neues Milieu entstanden ist mit eigenen Lebensformen. Kennzeichnend dafür ist die Überforderung: mit dem Alltag, mit der Partnerschaft, mit der Gesundheit und mit der Erziehung der Kinder. Der Unterschicht fehlt es nicht an Geld, sondern an Bildung.
    Die Art und Weise, mit der Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik auf die Auflösungserscheinungen reagiert haben, ist also eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Ränder der Gesellschaft: Zuerst wurden die Entwicklungen übersehen, dann geleugnet und schließlich auf der Basis einer ideologisch voreingenommenen Analyse falsch gedeutet.
    Neoliberalismus für Reiche und für Arme
    Fehldiagnosen haben in aller Regel verfehlte Therapien zur Folge. Der Staat vertraut auf die Heilkraft des Geldes auf dem Konto der Familie. Seit Jahrzehnten setzten die Lobbyisten der Geldelite eine Steuersenkung nach der anderen für ihre Klientel durch, stets mit dem Argument: Lasst doch den Leuten das Geld. Die wissen am besten, was sie damit anfangen sollen. Wenn es um Vermögende geht, nennen wir diese Ideologie »Neoliberalismus«. Wenn es um Familien geht, die von Sozialtransfers leben, vertreten Sozialpolitiker und Wohlfahrtsverbände exakt dieselbe Glaubensrichtung: Gebt den Familien mehr Geld. Die wissen am besten, was sie damit anfangen sollen. Ist das Neoliberalismus für Arme?
    Auf diese Weise wurde das »Landleben«, das Leben von leistungslosem Einkommen, überhaupt erst attraktiv gemacht. Und der Gemeinsinn untergraben. Der Unterschicht hat die Politik des Geldverteilens nicht geholfen, sondern geschadet, weil sie ihre wirklichen Probleme verharmlost. Paul Nolte nennt die Reaktion des Staates »fürsorgliche Vernachlässigung«. 12 Die hohen Transfers sind nur eine

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