Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
einigen Kommunen keinen Kredit mehr.
Doch nicht nur die Kommunen verschulden sich. Im Bundeshaushalt stecken Schulden und Bürgschaften in Billionenhöhe. Ein Großteil davon ist eine Folge der Krise der Finanzmärkte. Die wiederum wurde ausgelöst durch die Spekulationen der Reichsten in dieser Gesellschaft. Der Schaden durch die Zockerei der Geldelite hat auf der Staatschuldenseite etwa dieselbe Dimension wie der Ausbau des Sozialstaates in den 70er Jahren oder die Kosten der Wiedervereinigung. 18 Wenn man Bund, Länder und Gemeinden zusammenrechnet, ist die Pro-Kopf-Verschuldung der öffentlichen Haushalte seit 1970 um fast das 25fache angestiegen. 19
Überschuldung bedeutet stets: Man nimmt zu wenig ein und gibt zu viel aus. Verursacher der steigenden Ausgaben ist zum einen die Oberschicht. Sie hat mit ihren riskanten Spekulationen die Bankenkrise verschuldet. Die Kosten für die Reparatur der entstandenen Schäden und die Maßnahmen, um weitere Schäden zu verhindern, reißen unvorstellbare Löcher in die Staatskasse.
Verursacher der steigenden Ausgaben ist außerdem die Unterschicht, denn die Sozialkosten zu ihrer Alimentierung und zur Finanzierung der boomenden Hilfsindustrie wachsen rasant und unaufhaltsam.
Verursacher der zu geringen Einnahmen ist allein die Oberschicht, denn sie beteiligt sich immer weniger an der Finanzierung des Staates. Die Steuerpolitik verschont das Kapital der Geldelite sowohl im Vergleich zu früher als auch im internationalen Vergleich in einem ungewöhnlichen Ausmaß. Staatsverschuldung und öffentliche Armut sind also ein Gemeinschaftswerk von Oberschicht und Unterschicht.
Für alle Veränderungen, die den Staat teuer zu stehen kommen, muss einzig die Mittelschicht geradestehen. Sie spannt den Rettungsschirm über die Vermögen der Reichen. Und sie hält das soziale Netz, in dem die Bedürftigen aufgefangen werden.
Es ist Aufgabe des Staates, für einen fairen Ausgleich zu sorgen und den Gemeinsinn der Gesellschaft zu organisieren. Für den Umgang des Staates mit der Unterschicht hat sich in den vergangenen Jahren eine Fairnessregel herausgebildet, die in weiten Teilen der Gesellschaft konsensfähig ist: Wer von Transfergeldern der Solidargemeinschaft lebt, soll wirtschaftlich nicht besser gestellt sein als diejenigen, die arbeiten und mit ihren Steuern den Sozialstaat finanzieren. Weil die Debatten über den Reichtum und den Umgang mit der Oberschicht gerade erst begonnen haben, gibt es eine solche allgemein anerkannte Regel bislang noch nicht. Einst war es selbstverständlich: Die starken Schultern tragen die größte Last. Davon ausgehend könnte für die Zukunft gelten: Alle Einkünfte zusammengerechnet darf der tatsächlich gezahlte Steuersatz eines Millionärs nicht niedriger sein als der durchschnittliche Steuersatz der abhängig Beschäftigten.
Nicht nur bei den Einnahmen hat der Staat in den vergangenen Jahrzehnten seine Strategie grundsätzlich geändert. Auch bei den Ausgaben. Für die Ausgaben gibt es zwei gegensätzliche Prinzipien: Subjektförderung oder Objektförderung. Entweder der Staat fördert jeden Einzelnen, jede Familie. Das nennt man Subjektförderung. Oder er finanziert Institutionen der Gemeinschaft wie Schulen, Universitäten oder Service-Einrichtungen. Die Objektförderung.
Die Schweden zahlen hohe Steuern und leisten sich davon eine großzügige Infrastruktur für alle. In den USA sind die Steuern niedriger, aber dort heißt es: Willst du schwimmen? Bau dir gefälligst selber einen Pool. Und Deutschland? »Es gibt wohl kaum Länder, die sich in dieser Frage so eindeutig auf eine Seite geschlagen haben wie wir«, sagt Gisela Färber. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. »Wir verteilen wie die Geisteskranken um, statt uns um die Stärkung der Institutionen zu kümmern.«
Deutschland ist eine Hochburg der Subjektförderung. Die Ideologie des Privaten hat sich über alle Schichten hinweg ausgebreitet. Die Königsdisziplin deutscher Umverteilung ist die Familienpolitik. Ungezählte Maßnahmen sollen Familien finanziell unterstützen. Ungezählt bedeutet: Selbst das zuständige Ministerium kennt die genaue Zahl nicht.
Als Ursula von der Leyen 2005 Familienministerin wurde, erteilte sie einen Forschungsauftrag, um herauszufinden: Mit wie viel Geld unterstützt der Staat die Familien eigentlich? Es dauerte fast die gesamte Legislaturperiode, bis feststand: 112 Milliarden Euro pro
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