Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Jahr. Ihre Nachfolgerin Kristina Schröder hat eine Anschlussforschung in Auftrag gegeben. Sie will wissen, welche Maßnahmen wie wirken. Ergebnisse werden erst 2013 erwartet. So lange wird weiter Geld ausgegeben, ohne dass irgendjemand die Wirkung kennt.
Die Wirksamkeit von Kindergärten ist dagegen zweifelsfrei nachgewiesen. Sie ist ein Beispiel kluger Objektförderung. Doch während der gesetzlich zugesagte Ausbau der Krippenplätze stockt, hat die Regierung die Einführung eines Betreuungsgeldes von 150 Euro für das Jahr 2013 beschlossen. Ein Lehrbuchbeispiel hilfloser Subjektförderung. Insgesamt zahlt Deutschland etwa 40 Prozent mehr für direkte Familienförderung als der EU -Schnitt. Doch seit 35 Jahren schon investieren wir weniger in unser Bildungssystem als der Schnitt der OECD -Länder. 20
Das Primat der Partikularinteressen
Was ist nur mit uns Deutschen los? Einfallsreiche, effiziente öffentliche Institutionen waren über Generationen das Markenzeichen Deutschlands. Amerika gelingt es bis heute nicht, eine solidarische Sozialversicherung auf die Beine zu stellen. Reichskanzler Otto von Bismarck hat sie bereits im 19. Jahrhundert eingeführt. Das Berufsbeamtentum und damit die erste öffentliche Verwaltung, die allgemeine Schulpflicht, die modernen Universitäten – wer ha t ’s erfunden? Die Deutschen. Der Kindergarten ist eine so geniale Idee, die andere Länder gleich mitsamt dem deutschen Wort übernommen haben. Das alles hat den Deutschen den Ruf eingebracht: Die können organisieren. Objektförderung in höchster Perfektion, das war der deutsche Weg.
Doch inzwischen hat sich die Chaosseuche in den deutschen Institutionen ausgebreitet.
Beispiel Jobcenter: Hier bekommen Arbeitslose zwar Geld. Aber kaum Hilfe. Die Arbeitsagentur hat das schlechteste Ansehen aller staatlichen Institutionen in Deutschland. 21 Seit Anfang der 90er Jahre gehört es zum Allgemeinwissen der Deutschen: Das Arbeitsamt kann keine Jobs vermitteln. Zwei Jahrzehnte und gefühlte 100 Reformen später müssen wir feststellen: Die Arbeitsagenturen, wie sie heute heißen, können noch immer nicht vermitteln.
Beispiel Universität: In den 70er Jahren wurden aus Elitehochschulen Massenuniversitäten. Darauf hat sich die gesamte Institution in ihren Strukturen bis heute nicht eingestellt. Seit den 70ern hat noch jede Studentengeneration gegen unhaltbare Studienbedingungen protestiert. Alle zu Recht. Alle erfolglos.
Beispiel Schule: Seit PISA , seit 2001, ist nicht nur den Experten klar: Das Schulsystem muss grundlegend reformiert und erheblich besser finanziert werden. Alle finden das richtig. Fortschritt bis heute: nicht feststellbar. Chancenungerechtigkeit bleibt das Erkennungsmerkmal der deutschen Schulen. 22
Beispiel Kindergarten: Die Große Koalition hatte beschlossen, bis 2013 die Zahl der Krippenplätze auszubauen. Die schwarz-gelbe Regierung verfolgt das Vorhaben weiter. Aber die Kommunen, die den Plan umsetzen müssen, haben längst angekündigt: Das klappt nicht. Notwendig wäre indes ein Konzept, wie aus Kindergärten echte Bildungsstätten werden, in denen gerade die Kinder der Unterschicht nicht nur betreut, sondern auch gefördert werden. Pläne dazu gibt es jedoch nicht.
Beispiel Hilfsindustrie: In Deutschland sind es keine staatlichen Institutionen, die den Bedürftigen helfen. Der Staat hat die Hilfe komplett an private Unternehmen outgesourced. Die helfen, was das Zeug hält. Die Branche boomt. Der Staat zahlt. Doch niemand steuert oder kontrolliert die Aktivitäten des sozial-industriellen Komplexes. Ein Großteil der Hilfe verpufft darum ohne Wirkung.
Beispiel Finanzamt: Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft schätzt, dass jährlich 30 Milliarden Euro am Finanzamt vorbeigeschleust werden. Die OECD geht sogar davon aus, dass der Fiskus 100 Milliarden Euro mehr einnehmen könnte, wenn nur genügend Steuerprüfer eingestellt würden. 23 Doch die Finanzverwaltung spart lieber bei den Personalkosten.
»Wir brauchen dringend bessere, effizientere staatliche Institutionen«, sagt Gisela Färber, die Professorin von der Verwaltungshochschule. »In anderen Ländern ist das Funktionieren der Organisationen ein Riesenthema. Nur bei uns nicht.« In Deutschland gibt es auf die Frage, wie man staatliche Institutionen effizienter macht, in den letzten Jahrzehnten nur eine Antwort: Rückzug. Der öffentliche Dienst wurde nicht zu einem Dienst an der Öffentlichkeit umgebaut, sondern konsequent abgebaut.
Die politische
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