Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
in der Sprache der Sozialpolitik »aktive Arbeitsmarktpolitik«. Seit 1991 haben der Bund und die Arbeitsagenturen (vormals Arbeitsämter) für »aktive Arbeitsmarktpolitik« zusammen fast eine halbe Billion Euro ausgegeben, im Schnitt etwa 24 Milliarden im Jahr. 3 Zum Vergleich: Arbeitslosengeld II (früher Arbeitslosenhilfe) hat den Sozialstaat nur rund 15 Milliarden pro Jahr gekostet.
Der Goldrausch: Helfen ist der neue Klondike River
Am Beispiel der organisierten Hilfe für Arbeitslose wird deutlich, was bisher noch nicht ins Bewusstsein der Gesellschaft eingedrungen ist: Auch Helfer haben Interessen. Diese Interessen sind nicht deckungsgleich mit denen der Bedürftigen oder denen der Gemeinschaft. Mitunter widersprechen sie ihnen sogar. Und die Helfer sind willens und in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen.
Die Arbeitslosigkeit war eine der ersten Goldadern, die von den guten Menschen entdeckt wurde. Inzwischen ist der Goldrausch im vollen Gange. Soziale Dienstleistungen sind der neue Klondike River. An seinen Ufern sind zahlreiche Minen entstanden: Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Altenpflege, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Schuldnerberatung oder Obdachlosenhilfe. Die Schürfrechte werden ständig ausgeweitet.
Dennoch ist es den professionellen Helfern gelungen, die Vorstellung von den selbstlosen Samaritern in den Köpfen lebendig zu halten, von ehrenamtlichen Wohltätern, die nach Feierabend einsame Alte pflegen, die Behinderte spazieren fahren oder vernachlässigten Kindern eine warme Mahlzeit kochen. Und das Ganze finanziert von Spendengeldern oder Almosen eines chronisch geizigen Sozialstaates. Doch diese Vorstellung hat mit der Wirklichkeit ungefähr so viel gemein wie private Videoerinnerungen vom letzten Urlaub mit dem Hollywoodstreifen Avatar .
Das Sozialstaatsprinzip ist ein Staatsziel, das vom Grundgesetz mit der »Ewigkeitsgarantie« geschützt wird. Wer in Deutschland Hilfe braucht, hat ein Recht darauf. Staatsziele kann man nicht freiwilligen Amateurhelfern überlassen. Helfen muss die Angelegenheit von Profis sein, die für ihre Arbeit bezahlt werden. Der weitaus größte Teil dieser Profis sind jedoch keine Staatsdiener. Ihre Arbeitgeber sind Vereine oder Firmen und somit ganz normale Dienstleister des Staates. Genauso wie der Staat Straßen oder Schulen nicht von Beamten aus dem Bauamt bauen lässt, beauftragt er auch Unternehmen mit der Wohlfahrt. In seinem Auftrag beraten die Mitarbeiter von Hilfsfirmen Menschen in existenziellen Krisensituationen, erziehen Kinder oder putzen Pflegebedürftigen die Zähne. Näher kann der Staat seinen Bürgern nicht kommen. In Deutschland wird darüber debattiert, ob die Müllabfuhr privatisiert werden soll. Nur wenigen ist jedoch bewusst, dass die intimste Form staatlichen Handelns, die Hilfe, beinahe komplett outgesourced und in der Hand von Fremdfirmen ist.
Die privatwirtschaftliche Organisation macht aus der Hilfe zwangsläufig eine Branche, eine Industrie: die Hilfsindustrie.
Wenn allein das Geschäftsfeld Arbeitslosenhilfe ein 24 Milliarden-Euro-Markt ist, welche Dimensionen hat dann das gesamte Geschäftsfeld Hilfe? Das weiß niemand. Zu jeder anderen Branche gibt es exakte Zahlen über Mitarbeiter, Umsätze und Gewinne. Für den Sozialmarkt fehlen selbst die Basisdaten. Experten schätzen jedoch übereinstimmend, dass etwa zwei Millionen Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt durch professionelles Helfen verdienen. 4 Das sind fast drei Mal mehr Menschen, als die gesamte heimische Automobilindustrie beschäftigt. 5 Das sind auch mehr als im Bauhauptgewerbe arbeiten. Mehr sogar, als in der Bauindustrie und in der Autoindustrie zusammen. Nehmen wir noch den Bergbau dazu, die Stahlindustrie, die Fischereiwirtschaft, den Flugzeugbau, die Stromwirtschaft. In all diesen Branchen zusammen arbeiten etwa zwei Millionen Arbeitnehmer. So viel wie im Sozialmarkt alleine. Das sensationelle Ergebnis der Zählung lautet also: Die Hilfsindustrie ist die größte Branche der gesamten deutschen Volkswirtschaft, die größte von allen.
Deutschlands Unternehmen mit den meisten Mitarbeitern heißt darum auch nicht Daimler oder Telekom, sondern Caritas. Der helfende Arm der katholischen Kirche beschäftigt mehr als eine halbe Million Mitarbeiter. 6 Mit 453 000 folgt auf Platz zwei die evangelische Konkurrenz, das Diakonische Werk. 7 Auch das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband gehören zu den Giganten auf dem deutschen
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