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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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eine Pflichtaufgabe des Staates, und genau dazu durften ABM -Gelder nicht genutzt werden. Die Regelung sollte den ersten Arbeitsmarkt vor dem zweiten schützen. So hatten die Arbeitsämter Geld zum Bau von Grillplätzen, Friedhofsmauern oder Wartehäuschen, die Kommunen aber mussten aus Kostengründen ihre Angestellten entlassen.
    In Genthin traf ich den Arbeitslosen Fritz-Jörg Wahrenburg, der gegen seine ehemalige Beschäftigungsgesellschaft klagte. 1 Die wollte ihn zum Trappeneinsatz zwingen. Das war seine ABM . Großtrappen sind seltene Vögel. »Die sollten wir beobachten. Nur beobachten. Sonst nichts. Zu viert. Es war sinnloser als zu Hause rumsitzen«, beschwerte sich Wahrenburg. Seine Beschäftiger schickten ihn als Alternative in die Bibliothek, um ein Buch über Friedrich den Großen abzuschreiben. Von Hand. »Ich habe mich geweigert. Aber andere haben es gemacht.« Schließlich wurde er in ein freies Büro gesetzt. Nach acht Monaten zog er Bilanz: »Zwei Telefongespräche entgegengenommen, Post ins Hauptgebäude getragen, zwei Mal Tanken gefahren.« Zum Abschied bekam Wahrenburg ein Zeugnis: »Da stand drin, was ich Tolles geleistet habe.« Er zog vor Gericht und verklagte seine Beschäftigungsgesellschaft. »Ich wollte ein wahres Zeugnis, in dem steht, dass ich acht Monate exakt nichts gemacht habe.«
    In der Nachbarstadt Burg unterhielt das Rote Kreuz damals eine Kleiderkammer, in der 28 arbeitslose Frauen in einer ABM geparkt wurden. Ein Mal im Monat kam ein LKW und lieferte gespendete Kleider. Die Frauen wuschen, flickten und sortierten die Klamotten. Doch oft kamen über Wochen keine Bedürftigen, die sich neu einkleiden wollten. Wenn der LKW neue Ware brachte, nahm er die inzwischen gewaschene und reparierte Lieferung vom letzten Mal stets wieder mit. Die Textilien wurden zu Lumpen verarbeitet und verkauft. Die sinnlose Arbeit der 28 Frauen machte dennoch Sinn. Für das Rote Kreuz. Es kassierte vom Arbeitsamt ein Honorar für die »Beschäftigung« der Arbeitslosen.
    Pioniere der Branche: die Arbeitslosigkeitsindustrie
    Die Hilfe, die als unbeholfene Improvisation in einer Notsituation begonnen hatte, entwickelte sich rasch zu einem großen Geschäft. Die Nöte und Bedürfnisse der Arbeitslosen gerieten dabei immer weiter in den Hintergrund. Ist es eine Hilfe, wenn Menschen Kleider waschen und flicken, die dann zerrupft werden? Millionen »Maßnahmen« in Ostdeutschland haben schließlich gezeigt: Das Gutgemeinte kann sich leicht in eine Demütigung verwandeln, die nur einem hilft: dem Helfer.
    Die Beschäftigungsgesellschaften waren nicht nur erfinderisch, was neue Maßnahmen für Arbeitslose anging. Sie entwickelten noch weit profitablere Methoden, um den Geldschatz der Arbeitsämter anzuzapfen. Eine beliebte Möglichkeit der legalen Bereicherung war die Rüttlermethode. Die ging so: Die Beschäftigungsgesellschaft beantragte beim Arbeitsamt den Bau, sagen wir eines Parkplatzes am Friedhof. Keine Pflichtaufgabe. Das Amt genehmigte. Um den Untergrund festzuklopfen, brauchte man einen Rüttler. Die Beschäftigungsfirma kaufte den Rüttler. Das Amt zahlte. Irgendwann war der Parkplatz fertig. Wem gehörte am Ende der Rüttler? Die meisten ABM -Firmen beschäftigten ständig einige Tausend Menschen. In einem Jahr kamen da leicht ein paar LKW , Bagger oder Rüttler zusammen. Das Arbeitsamt konnte mit der Gerätschaft nichts anfangen. In der Not wussten die Geschäftsführer der Beschäftigungsgesellschaften einen Ausweg. Selbstlos erklärten sie sich bereit, die gebrauchten Geräte in einer neu zu gründenden Firma zu verwerten: der Maschinen-Verleih GmbH. Dafür kassierten sie zusätzlich Fördergelder für Existenzgründer. Auf diese Weise entstanden in den 90er Jahren unzählige Unternehmen, die technische Geräte vermieteten.
    Im nächsten Frühjahr wurde die Erweiterung des Parkplatzes beantragt: Friedhofsparkplatz Teil II . Doch diesmal musste das Arbeitsamt keinen neuen Rüttler kaufen. Er wurde gemietet. Bei der ortsansässigen Maschinen-Verleih GmbH, deren Eigentümer gleichzeitig Geschäftsführer der Beschäftigungsgesellschaft war. Und wieder zahlte das Amt, diesmal Miete für Geräte, die es zuvor selbst angeschafft hatte. Alles ganz legal.
    So hat es angefangen, das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit. Walter Riester, Blüms Nachfolger als Bundesarbeitsminister, nannte es angewidert das »Geschäftsfeld Arbeitslosigkeit« 2 . ABM , Umschulung, Ein-Euro-Jobs: All diese »Maßnahmen« heißen

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