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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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gigantischen Hilfsbooms besichtigen. »Warum sanieren wir unsere Straßen und unsere Schulen nicht?«, fragt Heinz Buschkowsky und liefert die Antwort gleich mit. »Weil wir unser Geld für die soziale Branche ausgeben müssen.«
    Der Interessenkonflikt als Organisationsprinzip
    Dass sich ein Politiker wie Buschkowsky gegen die Fremdbestimmung durch die Hilfsindustrie wehrt, ist in Deutschland untypisch. Typisch hingegen ist Gerda Kieninger. Sie sitzt für die SPD im Düsseldorfer Landtag. Und dann hat sie noch einen ehrenamtlichen Nebenjob: Kieninger ist Vorsitzende der AWO in Dortmund. Hier arbeitet sie mit Andreas Gora zusammen, dem Geschäftsführer, der für die AWO versucht, die Reittherapie zu etablieren.
    Ausgerechnet das Jugendamt ihrer Heimatstadt zeigte sich anfangs zurückhaltend, was die Bewilligung der Reittherapie anging. Da trifft es sich gut, dass Dortmund die Herzkammer der Sozialdemokratie ist. Oberbürgermeister ist der Genosse Ulrich Sirau. »Natürlich führt man da Gespräche. Das gehört zu meinen Aufgaben«, sagt Frau Kieninger. Zu denen als Vertreterin des Volkes oder zu denen als Managerin des Unternehmens AWO ?
    Offensichtliche Interessenkonflikte kommen im deutschen Hilfs system nicht lediglich vor. Interessenkonflikte sind ein Konstruktionsprinzip des deutschen Sozialstaates. Beispiel Kinder- und Jugendhilfe: Hier ist die höchste Entscheidungsinstanz nicht das Jugendamt, sondern der Jugendhilfeausschuss (§§ 69, 70, 71 SGB VIII ). In diesem Gremium sitzen die vom Volk gewählten Vertreter der Kommune neben den Vertretern der Wohlfahrtsunternehmen. Die Firmen, die von den Entscheidungen des Jugendhilfeausschusses wirtschaftlich direkt betroffen sind, haben selber Sitz und Stimme.
    Das Königsbeispiel für einen strukturellen Interessenkonflikt ist die Arbeitsverwaltung. Die größten Anbieter auf dem Markt der Arbeitslosigkeitsindustrie sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Auftraggeber und Zahlstelle sind die Arbeitsagenturen. Wer steuert die Arbeitsagentur? Nicht Ursula von der Leyen, die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Sie hat in der Bundesagentur für Arbeit kein Weisungsrecht. Die großen Entscheidungen trifft der Verwaltungsrat, ein Gremium aus jeweils sieben Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der öffentlichen Hand. Beim Etat der Arbeitsverwaltung und bei der Mittelverteilung dürfen die Lobbyisten der Arbeitslosigkeitsindustrie also nicht nur mitstimmen, sie haben sogar die Stimmenmehrheit. Dieselbe Konstellation wie in Nürnberg findet sich in jedem deutschen Jobcenter, in jeder Arbeitsagentur. Immer entscheiden die Verwaltungsräte über die Verteilung des Geldes und immer haben Gewerkschaften und Arbeitgeber die Mehrheit. Meistens entsenden sie gleich die Geschäftsführer ihrer örtlichen Bildungswerke oder Beschäftigungsgesellschaften in das Gremium. Das ist so, als würde die Waffenschmiede Heckler & Koch darüber entscheiden, wann die Polizei neue Pistolen braucht, und wie viele, und bei welchem Hersteller sie bestellt werden.
    Führende deutsche Staatsrechtler halten das für verfassungswidrig. Winfried Kluth, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Halle und gleichzeitig Richter am Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt sagt: »Das ist verfassungsrechtlich nicht weiter hinnehmbar.« Diese Einschätzung teilt Helge Sodan, ebenfalls Professor für Öffentliches Recht an der FU Berlin und ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin. »Die Konstruktion der Selbstverwaltung in der Bundesagentur für Arbeit ist aus demokratischer Sicht höchst bedenklich«, sagt Sodan. Der Verfassungsrechtler Professor Matthias Jestaedt von der Uni Erlangen fordert: »Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe müsste überprüfen, ob die Selbstverwaltung der Bundesagentur verfassungswidrig ist.«
    Der Staat erweist sich als hilflos gegen die Interessen der Helfer. Er verfügt über keinen funktionierenden Mechanismus, um die Geldströme im Hilfesystem steuern zu können. Das liegt auch an der Struktur des Sozialrechts. In den Sozialgesetzbüchern sind lediglich die Ansprüche der Bürger auf Hilfe formuliert. Kein Amt, kein Parlament, keine Regierung kann steuern, wie viele Bürger wie viele Hilfsansprüche tatsächlich geltend machen. Sicher ist nur: Nähmen die Bürger all ihre Rechte auf Hilfe tatsächlich wahr, der Staat wäre unverzüglich pleite. »Wenn man genauer hinsieht,

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