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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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In ihrer Ausbildung haben sie die deutschen Tugenden Zuverlässigkeit und Genauigkeit noch von der Pike auf gelernt. In den 60er Jahren, als sie ihre Lehre begannen, wollten nur die Ärmelschoner zur Bank. Die Arbeit in den Filialen war geprägt von Langsamkeit. Man zählte Bargeld. »Und wehe, am Ende des Tages fehlten zwei Pfennige. Dann wurde so lange gezählt und geprüft, bis alles stimmte«, erinnert sich Rolf Hunck.
    Er war ein echter Bankbeamter. »Ich war sogar Oberbeamter. So was gab es.« 1963 begann er eine Lehre zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank in Hamburg-Eppendorf. Von dort stieg er immer weiter auf, bis in die Geschäftsleitung der Deutschen Bank in Hamburg. Zu seiner Abschiedsparty kamen die Größen der Hamburger Politik, Altkanzler Helmut Schmidt und die drei letzten Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, Rolf-Ernst Breuer und Josef Ackermann.
    Schon in seinen Anfangsjahren durfte Hunck kleinere Aufträge an der Börse in Hamburg erledigen. Einmal passte er nicht richtig auf und kaufte 100 Aktien, obwohl er eigentlich verkaufen sollte. »Im Nachhinein war es ein gutes Geschäft für die Bank. Trotzdem musste ich beim Generaldirektor strammstehen und wurde abgemahnt. Wir wurden auf Korrektheit gedrillt.« Als Hunck das Handwerk lernte, sollte den Kunden noch nichts verkauft werden. Was auch? Die Banken hatten nichts anzubieten, sie hatten praktisch keine eigenen Produkte. Noch Mitte der 70er Jahre existierten ganze sieben Investmentfonds. Heute sind es über 600. Synthetische Finanzprodukte, Eigenhandel der Bank oder Boni – all das gab es nicht.
    Schon gar keine Computer. Huncks Generation wurde an der »Kienzle 200« ausgebildet. In den 60er Jahren ratterte in beinahe jeder Filiale einer Bank oder Sparkasse ein solches Exemplar der Firma Kienzle Apparate GmbH aus Villingen. 1 Sie war ein Wunderwerk deutscher Ingenieurskunst. Die mechanische Buchungsmaschine konnte sowohl addieren als auch subtrahieren und zudem das komplizierte Buchungsblatt der Größte DIN A 2 vollständig korrekt ausfüllen. Und das alles gleichzeitig. Eine multitaskingfähige Buchungs- und Rechenmaschine. Das sperrige Kontoblatt des Kunden wurde aus der Ablage geholt und millimetergenau in die Maschine gespannt. Schon schrieb die Kienzle den zuvor ausgerechneten Kontostand auf dem Kontoblatt gut. Jede Buchung war ein hoheitlicher Akt. »Wenn man richtig schnell war, schaffte man das in einer Minute«, erinnert sich Hunck.
    Milliardendeals in Millisekunden
    In dieser Zeit erledigt heute ein Rechner an der Deutschen Börse sieben Millionen Geschäftsvorgänge. Für die komplette Abwicklung eines Aktiengeschäftes – Order, Verarbeitung und Bestätigung – ließ sich die Deutsche Börse im Jahre 2006 ganze 21 Millisekunden Zeit. Viel zu langsam. Heute dauert der »Roundtrip« nur noch 0,55 Millisekunden. 2 Darum stehen die Rechner der Trader nicht lediglich in der Nähe der »Matching Engines« der Deutschen Börse – also der Computer, die Käufer und Verkäufer zusammenbringen –, sondern gleich auf demselben Gelände. Die Börse vermietet die Polepositionen unmittelbar neben dem eigenen Rechner zu Höchstpreisen. Obwohl die Signale mit Lichtgeschwindigkeit durch die Glasfaserkabel jagen, zählt jeder einzelne Meter.
    Der Blitzhandel heißt in der Fachsprache High Frequency Trading ( HFT) . Im Millisekundentakt kaufen und verkaufen die Rechner große Mengen von Wertpapieren. So saugen sie ihren Profit selbst aus den kleinsten Kursschwankungen. Geschäfte, die in einer tausendstel Sekunde erledigt sind, mitunter sogar zehntausendstel Sekunde, überfordern nicht nur das menschliche Gehirn. Auch elektronische Hirne können in dieser Zeit keine kaufrelevanten Marktinformationen analysieren. Die HFT -Rechner handeln darum nicht überlegt, sondern automatisch, nach einem zuvor ausgetüftelten Algorithmus. Entscheidend beim Aktiengeschäft sind längst nicht mehr die bessere Information, die klügere Analyse oder Instinkt und Risikobereitschaft eines Händlers. Entscheidend sind die Geschwindigkeit des Computers, die Länge des Kabels und der Algorithmus der Software.
    Die Bundesbank nennt die Entwicklung eine »algorithmische Revolution« und warnt davor in ihrem »Finanzstabilitätsbericht 2011«: »Die meisten HFT -Programme treffen ihre Entscheidungen, ohne den realen Firmenwert oder die Wertdeterminanten einer Währung zu beachten.« 3 Der Blitzhandel ist eine reine Wette, ohne jede Verbindung zu

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