Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Wirtschaftspolitiker den Bundestag verlassen, um hinterher in der Energiewirtschaft Geld zu verdienen, wird darin häufig eine unappetitliche Interessenkollision gesehen. Zu Recht. Kerstin Grieses Wechsel auf eine großzügig dotierte Position in der Sozialwirtschaft galt hingegen als ehrenhaft. Von ihrer Parkposition aus bearbeitete sie ihre ehemaligen Kollegen aus dem Bundestag so intensiv im Interesse ihres neuen Brötchengebers, wie viele Abgeordnete es zuvor noch nicht erlebt hatten. Den Genossen fiel zudem die Unterscheidung schwer: Spricht da meine alte Fraktionskollegin oder die Vertreterin der kommerziellen Interessen von Deutschlands zweitgrößtem Arbeitgeber? »Keine andere Branche ist politisch so verdrahtet«, sagt Iris Röthig von Wohlfahrt intern.
Die Hilfsindustrie ist nicht auf die Lobbyarbeit ehemaliger Spitzenpolitiker angewiesen. Sie sitzt längst selbst im Bundestag. 218 Bundestagsabgeordnete geben an, dass sie eine Vorstands- oder Leitungsfunktion in einem Hilfsunternehmen haben. 47 Das sind 35 Prozent aller Abgeordneten. Die CDU stellt nur 193 Abgeordnete. Die größte Gruppe im Deutschen Bundestag sind also die Manager eines Sozialunternehmens.
Der Ausschuss »Familie, Senioren, Frauen und Jugend« ist für den Sozialmarkt von größter Bedeutung. Die Entscheidungen, die hier vorbereitet werden, wirken sich unmittelbar auf die Hilfsgeschäfte aus. Kein Wunder, dass fast 60 Prozent der Mitglieder angeben, ein Wohlfahrtsunternehmen zu führen oder in der Leitung mitzuwirken.
Nur selten bekommen Politiker für ihre Arbeit in gemeinnützigen Organisationen Geld. Aber immer Macht. Mit dem Engagement in der Diakonie, der Caritas oder beim Roten Kreuz zeigt man Einsatz für einen »wohltätigen Zweck«. Dabei springt außerdem so mancher wohlwollende Artikel mit Foto in der lokalen Presse heraus.
Das wichtigste aber ist: Der Hilfsverein ist ein wichtiger Pfeiler in der Hausmacht eines Politikers. Die Hilfsfirma kämpft für ihre Chefin oder ihren Chef, auch in schlechten Zeiten. Wer sich mit Kerstin Griese anlegt, macht sich wohl auch noch nach deren hauptamtlichen Zeit die Diakonie zum Feind. Das kann gefährlich werden.
Besonders eng sind die Beziehungen zwischen AWO und SPD . Nur wenige AWO -Vorstandspositionen sind nicht von Mandatsträgern der Genossen besetzt. Der Posten des örtlichen AWO -Vorstands gilt in der SPD als Poleposition für die Besetzung des nächsten Landtags- oder Bundestagsmandats.
Sozialpolitik und Sozialwirtschaft lässt sich in Deutschland nicht voneinander trennen. Die Helfer aus der Wohlfahrtswirtschaft können sich auf ihre Helfer in der Politik verlassen. Zuverlässig setzen die eine kontinuierliche Ausweitung der Hilfsansprüche in den Sozialgesetzbüchern durch. Und sie verhindern alle notwendigen Debatten darüber, was sich im Sozialmarkt ändern muss: mehr Transparenz und Kontrolle der Hilfsunternehmen. Eine Deckelung der Ausgaben, wie sie im Gesundheitswesen seit Jahren selbstverständlich ist. Die Finanzierung nur von wissenschaftlich überprüften Hilfsmethoden. Und natürlich eine Orientierung des Wachstums am tatsächlichen Bedarf. Darüber wird in der Politik nicht gesprochen.
Wenn Wolfgang Hinte von der Uni Duisburg-Essen seinen Studenten erklären will, was im deutschen Sozialmarkt falsch läuft, dann erzählt er ihnen eine wahre Geschichte aus Indien. Einst litten die Menschen in Indien unter einer furchtbaren Plage: Kobras. Da hatte der britische Gouverneur eine clevere Idee: Wer den Behörden eine getötete Kobra brachte, bekam eine Rupie. Was machten die Inder? Sie züchteten Kobras, massenweise. Das Resultat waren mehr statt weniger Schlangen. Wirtschaftswissenschaftler nennen das heute den »Kobraeffekt«. 48 »Nach diesem Prinzip funktionieren die deutschen Hilfesysteme«, sagt Wolfgang Hinte. »Wir finanzieren genau das, was wir eigentlich verhindern wollen.«
5 DIE GELDINDUSTRIE
Die Herrschaft der Unvernunft
Eine deutsche Institution geht in Rente: der Bankbeamte. Zum Abschied gibt es Champagner und Schnittchen. Blumensträuße werden überreicht und das Geschenk, für das die Kollegen gesammelt haben. In den Reden werden Anekdoten ausgegraben aus einer längst vergangenen Zeit. Darin wirken die Jubilare wie Überbleibsel aus Schwarz-Weiß-Filmen wie Heinz Rühmann oder Theo Lingen.
Die Bankergeneration, die heute aufs Altenteil geschoben wird, ist die letzte, die ausgebildet wurde, als die Geldwelt noch auf Deutschland beschränkt war.
Weitere Kostenlose Bücher