Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Heilsversprechen der Geldreligion. Die außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte decken ein dramatisches Versagen der Wirtschaftswissenschaften auf. Auch die Ökonomen auf den Lehrstühlen haben an die Berechenbarkeit der Risiken und an die Regelungskräfte der Finanzwelt geglaubt. An den Universitäten gehören die Wirtschaftswissenschaften zu den sozialwissenschaftlichen Fakultäten. Wirtschaft ist keine exakte Wissenschaft wie die Naturwissenschaften. Sie beruht auf Annahmen und Theorien. Es gibt kein richtig und kein falsch. Doch der Siegeszug der Quants mit ihren mathematischen Modellen schenkte den Bankmanagern die Illusion der Sicherheit. Sie dachten, sie wüssten, was sie tun. Und zwar genau. Sie hatten es ja berechnet.
Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts ( HWWI ) gibt der Wissenschaft eine Mitschuld am Entstehen der gigantischen Spekulationsblasen. »Über Jahrzehnte dominierte in der Ökonomie die Überzeugung, dass auf Finanzmärkten Effizienz die Regel und Marktversagen die Ausnahme sei. Heerscharen von Studierenden wurden auf den Glauben getrimmt, Börsenkurse würden stets alle verfügbaren Informationen rational und richtig widerspiegeln. … Es ist an der Zeit, den Effizienzmythos vom Sockel zu holen.« 29
Straubhaar diagnostiziert nicht nur in den Banken, sondern auch an den Hochschulen ein »Herdenverhalten« und ein »Meinungskartell«. Gleiches hat auch Amartya Sen beobachtet, Nobelpreisträger für Ökonomie: »Es stimmt, dass die Mainstream-Ökonomen dazu tendiert haben, anzunehmen, dass der Markt perfekt funktioniert, und dass es keinen Bedarf für Regulierung gibt. Diese Ansicht war verbreitet.« 30
Schonungslos fragt sich Thomas Straubhaar, warum die angeblich unabhängige Wissenschaft so lange am »Effizienzmythos« der Märkte festgehalten hat, obwohl er historisch und empirisch längst widerlegt war. Seine Antwort fällt ernüchternd aus: »Wenn der Mainstream der Meinung ist, dass Finanzmärkte effizient sind, dann ist es für Abweichler enorm riskant, gegen das Kartell jener zu opponieren, die als Insider über die Vergabe von Professorenstellen, Forschungsaufträgen und Budgets bestimmen.« 31 So hatten auch die kleinen Alltagssorgen der Gelehrten eine große Wirkung: Sie haben verhindert, dass die Wissenschaft rechtzeitig vor den Gefahren der Spekulation warnte.
Der Bankrott als Waffe
In der Marktwirtschaft ist das Gewinnstreben des Einzelnen auch für die Allgemeinheit von Nutzen. Diese Regel ist seit Adam Smith die Legitimation des Reichtums in der freien Marktwirtschaft. Doch in den vergangenen Jahrzehnten stellte die Finanzindustrie dieses Fundament der Marktwirtschaft grundsätzlich infrage. Mit ihren Methoden der Geldvermehrung hat sie es ermöglicht, dass vom Gewinnstreben einer kleinen Oberschicht fast ausschließlich eben diese kleine Oberschicht profitiert. Für die Allgemeinheit blieb die Gier ohne erkennbaren Nutzen. Das zeigt sich gerade in Deutschland deutlich an der dramatischen Umverteilung des Reichtums: Die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft besaßen 1970 insgesamt 44 Prozent des Vermögens. 32 Bis zum Jahr 2009 ist dieser Anteil auf 66,6 Prozent angewachsen. 33 Der hinzugewonnene Reichtum fand seine Heimat vor allem auf den Konten der Geldelite.
Die übergroße Mehrheit der Gesellschaft spekuliert nicht an der Börse, beteiligt sich nicht an Hedgefonds, zockt nicht mit Kreditausfallversicherungen. Sie partizipiert nicht an den Chancen der Finanzwirtschaft. Dafür jedoch an den Risiken. Sie haftet für die Schäden, die andere angerichtet haben. Als die Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 Insolvenz anmeldete, brachte das die größte Spekulationsblase in der Geschichte des Geldes zum Platzen. Aus den virtuellen Profiten der Geldelite wurden plötzlich reale Schulden.
Über Jahrzehnte hatten Finanzwirtschaft und Oberschicht für den demokratischen Staat und seine oft langwierigen Entscheidungsprozesse nur Verachtung übrig. Regulierende Eingriffe in ihre Methoden der Kapitalvermehrung haben sie sich voller Empörung verbeten. Jetzt, nach dem Platzen der Spekulationsblasen, halten sie es für selbstverständlich, dass der Staat und die Steuerzahler ihren Reichtum retten und ihre Rechnung begleichen. Wie hoch die Befindlichkeiten tatsächlich sind, kann auch vier Jahre nach der Lehman-Pleite niemand auf eine Billion genau beziffern.
Das kann auch Gerd Wagner nicht, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen
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