Die Aspern-Schriften (German Edition)
Immer tritt er Miss Tina ein wenig zu nahe, macht ihr beinahe den Hof, und kommentiert gleichzeitig, dass seine Avancen nicht als solche missverstanden werden dürfen. Er unterstellt der alten Dame, sie rede immer vom Geld, tatsächlich ist er es, der das Geldthema immer wieder aufgreift, denn er ist es, der sich zunächst als Held mit unbegrenzten Geldmitteln aufspielt und dann verzweifelte Rückzieher machen muss, weil in seiner Kasse längst Ebbe herrscht. Ein Ich-Erzähler, der sich in der permanenten Selbstwiderlegung der allmählichen Selbstenthüllung preisgibt. Ein Spekulierender, ein in seinen Erlebnissen und Erfahrungen Herumirrender, ein Antiheld. Direktheit und Indirektheit im stetigen Wechsel erzeugen beim Leser ein Gefühl des Schwindels im doppelten Sinne: Er verliert die Bodenhaftung im Text, schwankt, weiß nicht mehr, was er glauben darf, und begibt sich zur eigenen Rettung auf eine andere Ebene, die metaphorische. In der Metaphorik sucht er die Wahrheit. Das macht den kurzen Text so lang.
Während einerseits die Bilder als Metaphern sprechender und reicher werden, Bedeutungsvielfalt gewinnen, werden uns auf anderen Ebenen der Erzählung, auch dies Indirektheit des Stils, bestimmte Bilder vorenthalten oder unvollständig übermittelt. Camouflage und Fragmentierung der äußeren Erscheinung der Figuren. Die steinalte Miss Bordereau, so eindrücklich in ihrer Hinfälligkeit beschrieben, trägt immer einen Augenschirm, so dass weder der Leser noch der Erzähler sie jemals zu Gesicht bekommen – bis auf jenen einen unerhörten Augenblick. Und dieser Blick Aug’ in Auge ist ganz auf ihre ehemals so unvergleichlich schönen Augen fokussiert, eine Offenbarung von Schönheit im Augenblick der schmachvollsten Niederlage. Ansonsten hören wir von einem unter dem Schirm zu erahnenden Verfall der Haut, einer Kraterlandschaft. Nun, wir sprechen von einer Hundertjährigen.
Und die Nicht e ? Sie ist zwar jünger, aber nicht jung. Als ginge sie unter einem Schleier, den sie sorgsam hütet, wird für Altersvermutungen keine Gelegenheit gegeben. In ihrem Spektrum von Verhaltensweisen hat sie die romantischen Sehnsüchte eines jungen Mädchens ebenso parat wie die altjüngferliche Resignation und die Melancholie der Frau mit den für immer verpassten Gelegenheiten. Sie könnte ebenso gut eine ältliche Zwanzigerin sein wie eine Frau in den besten Jahren, der das Beste irgendwie abhanden gekommen ist. Sie ist nicht hässlich, aber auch nicht hübsch. Auf ihre Kleidung wird nie das Augenmerk gelenkt, der Erzähler nimmt sie nicht wahr. Erst als sie Trauerkleider trägt, fällt ihm auf, dass diese sich nicht von ihrer bisherigen Garderobe unterscheiden. Boshafter könnte er ihre Unscheinbarkeit nicht schildern. Wir würden Miss Tina so gerne lieben, doch das einzige, was wir von ihr wissen, ist, sie sei besonders hochgewachsen. Nichts weiter, was Begehrlichkeiten wecken könnte.
So stellt es der Erzähler dar. Seine geradezu unterirdische, vielleicht im Unbewussten schlummernde, erotische Ambivalenz ihr gegenüber lässt vermuten, dass sie der jüngeren Kategorie der »alten Jungfer« angehört, denn er selbst muss noch recht jung sein, das darf man nach seinem Sturm-und-Drang-Gebaren, der anbetungsvollen Verehrung für den Dichter wie seiner naiven Skrupellosigkeit, vermuten, aber auch von seiner äußeren Erscheinung zeichnet James uns kein Bild. Sein Hochmut macht ihn weder schön noch jung, bewirkt aber auch nicht das Gegenteil. Da am Ende Miss Tina dem gefallenen Helden einen Antrag macht, müsste eine Alterskongruenz zwischen den beiden bestehen, denn zu jener Zeit ist eine Liaison zwischen einer älteren Frau und einem jüngeren Mann nicht nur eine Mesalliance, sondern eine Undenkbarkeit. Vielleicht aber wollte James mit dem Motiv der emanzipierten Frau kokettieren, für die er eine gebrochene Sympathie hegte. Oder wollte er doch, dass der Leser das Heiratsangebot als Groteske erleb t ? Ein Geheimnis, das James mit ins Grab genommen hat.
Auch ein Bild von Mrs. Prest enthält er uns vor. Als habe sie sich als Handlangerin in der Intrige den Status einer vollkörperlichen Anwesenheit noch nicht verdient. Der Erscheinung des Hausmädchens hingegen, das für die dramatische Entwicklung unwesentlich ist, wird etwas mehr Sorgfalt gewidmet, drall, rothaarig und energisch, wie sie ist. In der Malerei nennt man es Figur-Grund-Austausch, wenn Figur und Hintergrund mal vor-, mal zurücktreten. So kippen hier Haupt- und
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