Die Aspern-Schriften (German Edition)
Nebenfiguren in ihrer Sichtbarkeit. Der Auftritt des Dienstmädchens erinnert an den Bühnenauftritt einer großen Schauspielerin in einer sehr kleinen Nebenrolle, die ihre ganze Kunst in diesen kurzen Augenblick ihres Erscheinens legt, um die Momentaufnahme zu einem starken, einem unvergesslichen Ereignis zu machen. Was ihre körperliche Präsenz betrifft, fühlt man sich erstaunlicher Weise am Ende mit Hausmädchen und Diener ebenso vertraut (oder unvertraut) wie mit den übrigen Personen.
Spät erst begreift man, dass es in dieser Erzählung nur einen gibt, der einer bildlichen Beschreibung würdig ist, einen jungen Mann mit einem bemerkenswert schönen Gesicht in einem grünen Mantel mit hohem Kragen und einer lederbraunen Weste, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, nämlich Jeffrey Aspern. Und der ist lange tot, Buchstabenexistenz, Gemälde, Sehnsuchtsfigur. Das Flirten mit diesem Untoten ist Höhepunkt des homoerotischen Versteckspiels.
Darin haben die Frauen keine Chance mitzuspielen. Was stellt Henry James, dem man nachsagt, Zeichner subtiler, psychologisch einfühlsamer, verständnisinniger Frauenporträts zu sein, in dieser Erzählung mit den vier weiblichen Charakteren a n ? Als erotische Geschöpfe lässt er sie am ausgestreckten Arm verhungern. Es sind alles Mutterfiguren unterschiedlicher Prägung, von matriarchalisch-herrschsüchtig über freundschaftlich-bestimmend bis zu hingebungsvoll-aufopfernd und resolut-dienend. Der Erzähler allen gegenüber in Sohneshaltung, stets zwiegespalten in Zuwendung und Abwehr. Da muss er eine ihm angesonnene konventionelle Mannesrolle verfehlen. So wie Miss Tina das Hauptziel eines Frauenlebens verfehlt hat. Oder warum nennt er sie sonst stets die arme Miss Tin a ? Weil James eben doch einem Frauenideal anhängt, das einer Heiratsordnung unterworfen ist. Sonst würde er sie nicht »spinster« nennen, alte Jungfer, so mitleidgesättigt. Und zwei, die ihre Rollen im Leben so sehr verfehlt haben, sollten sich tunlichst nicht zusammentun. Da hat James mit seiner Pointe Recht.
Aber ganz so bemitleidenswert ist Miss Tina nicht. Sie ist eine Frau mit Geheimnis, mit verborgenen Abgründen. In einer ironischen Volte gegen den stets überheblichen Erzähler erfahren wir, dass sie vor ihrer Zeit in Venedig etliche Jahre in Florenz gelebt habe. Also doch eine Frau mit Vergangenheit. Und wir erleben, dass sie Italienisch mit venezianischem Dialekt spricht. Wo hat sie sich herumgetrieben, bevor sie beschloss, das Haus nicht mehr zu verlasse n ? Es sind die Unterstellungen des Erzählers, die aus ihr eine andere machen, als der Verlauf der Geschichte es erweist. Er unterstellt ihr Schlichtheit des Gemüts und Weltfremdheit, dienende Abhängigkeit und Unselbständigkeit bei gleichzeitiger Unreflektiertheit. Ihre Handlungen zeugen vom Gegenteil. Des Erzählers Unbewusstheit im Handeln und Reden, die sich seiner Besessenheit verdankt, wird ihm zum Verhängnis werden, denn die Andere, die er für so naiv hält, hat den höheren Bewusstheitsgrad. Ja, das Imperium schlägt zurück, der Hochmut des Mannes erfährt schwere Dämpfer, alles ereignet sich so, wie er es nicht erwartet hat. Nicht einmal die alte Frau bleibt ihrem Entwurf als Hexe treu. Sie bäumt sich noch einmal zu einem übermenschlichen Kraftakt auf und stirbt nicht. Nicht, als alle Welt es von ihr erwartet: die Nichte, der Leser, der Held. Nein, sie stirbt in seiner und unserer Abwesenheit, während wir ihren Fasttod expressis verbis durchleiden mussten.
Das sind Momente in James’ Frauenbild, fast im Verborgenen lauernd, wo er den Frauen in ihrer Stärke seine Hommage erweist. Der Erzähler aber ist so verblendet wie ein Verliebter, nur dass er in seine Obsession verliebt ist, in seinen gottähnlichen Dichter, in seine Rolle als Retter der Kunst. Nicht in das Leben.
Diese Verblendung, diese Bewusstlosigkeit, diese Vertauschung von Leben und Kunst nimmt tatsächlich ein ganzes Kapitel ein, das länger ist als der reale Text. Eine überstürzte Abreise, nachdem der Held sich um Kopf und Kragen gebracht hat, auf jeden Fall um den Kopf. Er sei in Bassano und Treviso gewesen, sagt er, über den Aufenthalt verrät er nichts. Auch nach Castelfranco sei er gefahren, lässt er verlauten, um Giorgione zu sehen. Was er aber sah, weiss er nicht mehr, da er ja kopflos war. Hier sind wir aufgerufen, das Gesehene nachzutragen, denn man darf davon ausgehen, dass der kunstsinnige und gebildete Henry James nichts ohne Plan und Hintersinn
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