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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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einen Exzentriker zu halten. Ich wies noch einmal darauf hin, dass ich meinen Studien nachzugehen beabsichtigte; dass ich Ruhe brauchte, dass ich mich nach einem Garten sehnte und vergeblich in der ganzen Stadt danach gesucht hätte; und dass ich dafür sorgen wollte, dass noch vor Ablauf eines Monats das schöne alte Haus geradezu in Blumen schwimmen sollte. Die Blumen waren es wohl letztlich, denen ich meinen Sieg verdankte, denn später fand ich heraus, dass Miss Tina – so lautete der Name dieser hochgewachsenen, ängstlichen Jungfer, der mir etwas unpassend für sie erschien – einen unstillbaren Hunger nach ihnen hatte. Wenn ich mein Vorgehen als erfolgreich bezeichne, so meine ich damit, dass sie mir vor meinem Abschied versprochen hatte, die Frage ihrer Tante vorzutragen. Ich bat sie, mich darüber aufzuklären, wer ihre Tante sei, und sie antwortete mit einem Anflug von Erstaunen »Miss Bordereau natürlic h !«, als hätte ich das wissen müssen. Solche Widersprüche waren für Miss Tina typisch, wie ich später herausfand, und sie trugen dazu bei, sie auf recht amüsante Weise unberechenbar und interessant zu machen. Die beiden Damen hatten alles darangesetzt, so zu leben, dass die Welt keinen Grund hatte, über sie zu reden oder ihnen zu nahe zu kommen, und dennoch hatten sie die Vorstellung, dass sie von ihnen keine Notiz nehmen könnte, niemals ganz akzeptiert. Zumindest bei Miss Tina war eine dankbare Empfänglichkeit für menschliche Kontakte noch nicht ganz erstorben, und in begrenztem Maße würde ein Kontakt zustande kommen, sollte ich tatsächlich zu ihnen ins Haus ziehen.
    »So etwas haben wir noch nie gemacht; wir haben noch nie einen Untermieter oder sonstige Hausgenossen gehabt.« Was dies betraf, legte sie Wert darauf, es mich wissen zu lassen. »Wir sind sehr arm, wir leben sehr dürftig – beinahe von nichts. Die Zimmer sind völlig kahl – zumindest diejenigen, die für Sie in Frage kämen; dort steht überhaupt nichts drin. Ich weiß nicht, wie Sie dort schlafen, wie sie essen sollten.«
    »Mit Ihrem Einverständnis könnte ich leicht ein Bett und ein paar Tische und Stühle hineinstellen. C’est la moindre des choses , das wäre das geringste Problem, eine Angelegenheit von ein, zwei Stunden. Ich kenne einen kleinen Händler, von dem ich für ein paar Münzen die Dinge leihen kann, die ich fürs Erste bräuchte und gern hätte; mein Gondoliere kann die Dinge in seinem Boot herbeischaffen. In diesem großen Haus verfügen Sie gewiss über eine zweite Küche, und mein Diener, der ein bewundernswert geschickter Bursche ist« – diese Figur war im selben Augenblick meiner Fantasie entsprungen – »könnte mir dort problemlos einen Imbiss zubereiten. Meine Vorlieben und Gewohnheiten sind von der einfachsten Sorte; ich lebe von Blume n !« Und dann erlaubte ich mir die Bemerkung, dass sie, wenn sie doch so arm seien, umso mehr Grund hätten, mir die Zimmer zu vermieten. Sie wären keine guten Wirtschafterinnen – noch nie hätte ich von einer solchen materiellen Verschwendung gehört.
    Ich erkannte sofort, dass noch nie jemand in einer solchen Weise mit der guten Dame gesprochen hatte – mit einer humorvollen Entschlossenheit, die Mitgefühl nicht ausschloss, die vielmehr darauf gegründet war. Sie hätte mir ohne weiteres sagen können, dass sie mein Mitgefühl als unverschämt empfände, doch glücklicherweise kam ihr das nicht in den Sinn. Ich verließ sie in dem Einvernehmen, dass sie die Frage ihrer Tante unterbreiten wollte und ich am nächsten Tage wiederkommen sollte, um mir ihre Entscheidung anzuhören.
    »Die Tante wird ablehnen; die ganze Sache wird ihr äußerst fragwürdig vorkomme n !« erklärte Mrs. Prest, nachdem ich kurz darauf wieder in ihrer Gondel Platz genommen hatte. Erst hatte sie mir die Idee in den Kopf gesetzt, und nun – so wenig kann man sich auf die Frauen verlassen – schien sie die Sache für aussichtslos zu halten. Ihr Pessimismus forderte mich heraus, und ich tat so, als hätte ich allen Grund zur Hoffnung. Ich ging sogar so weit, prahlerisch zu behaupten, dass alles für einen erfolgreichen Ausgang spräche. Darauf entfuhr es Mrs. Prest: »Ach so, ich verstehe, was in Ihrem Kopf vorgeh t ! Sie bilden sich ein, Sie hätten innerhalb von fünf Minuten einen so tiefen Eindruck auf die Frau gemacht, dass sie Ihre Wiederkehr herbeisehnt und Sie sich darauf verlassen können, dass sie die Alte schon rumkriegen wird. Wenn Sie tatsächlich dort Einlass

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