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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Vergnügen gehabt habe, einem solchen Ungeheuer der Zudringlichkeit ins Gesicht zu schauen. Darum war ich umso überraschter, als sie in ihrer sanften, Ehrfurcht gebietenden, aber leicht zitternden Stimme anfügte: »Sie können so viele Zimmer haben, wie Sie wünschen – wenn Sie mir dafür einen anständigen Preis bezahlen.«
    Ich zögerte nur einen Augenblick, lange genug, um abzuwägen, was sie mit dieser Bedingung gemeint haben könnte. Zuerst ging mir durch den Kopf, dass sie tatsächlich an eine große Summe gedacht haben müsse; dann überlegte ich schnell, dass ihre Vorstellung von einer großen Summe wahrscheinlich nicht mit meinen Vorstellungen übereinstimmte. Meine Überlegungen dürften nicht so raumgreifend gewesen sein, dass sie die Schnelligkeit meiner Antwort beeinträchtigt hätten. »Die will ich gern bezahlen«, sagte ich prompt, »und natürlich im Voraus, wie viel immer Ihnen dafür angemessen erscheint.«
    »Ich dachte an tausend Franken im Monat«, antwortete sie unverzüglich, wobei der störende grüne Schirm weiterhin ihren Gesichtsaudruck verdeckte.
    Der Betrag war umwerfend, wie man so sagt, und meine Logik war völlig fehlgegangen. Die von ihr genannte Summe war nach venezianischen Verhältnissen bei solchen Anlässen übermäßig hoch; es gab eine Menge alter Palazzi an abgelegenen Ecken der Stadt, die ich zu solchen Bedingungen ein ganzes Jahr lang hätte genießen können. Doch soweit meine Mittel es erlaubten, war ich bereit, Geld auszugeben, und so war meine Entscheidung schnell gefasst. Mit lachender Miene würde ich ihr bezahlen, was sie verlangte, doch in dem Fall würde ich es dadurch ausgleichen, dass ich mir meine »Beute« umsonst verschaffte. Und selbst wenn sie das Fünffache verlangt hätte, wäre ich darauf eingegangen, denn nichts wäre mir verhasster gewesen, als mit Asperns Juliana ins Feilschen zu geraten. Es war schon unangenehm genug, überhaupt Geldfragen mit ihr besprechen zu müssen. Ich versicherte ihr, dass ihre Sichtweise völlig mit der meinen übereinstimme und ich am nächsten Tag das Vergnügen haben würde, ihr drei Monatsmieten auf die Hand zu geben. Diese Ankündigung nahm sie mit sichtlicher Genugtuung entgegen, doch schien bei ihr nicht der Gedanke aufzukommen, dass es nun an ihr wäre, mir anzubieten, zunächst einmal die Zimmer zu besichtigen. Dies kam ihr gar nicht in den Sinn, und mir war es das Wichtigste, sie in heiterer Verfassung zu sehen. Unser kleines Abkommen war soeben besiegelt, als sich die Tür öffnete und die jüngere Dame auf der Schwelle erschien. Kaum hatte Miss Bordereau ihre Nichte entdeckt, rief sie ihr fast fröhlich entgegen: »Er gibt uns dreitausend – dreitausend, morgen scho n !«
    Miss Tina blieb stehen und ließ ihre Augen ruhig vom einen zum anderen wandern; dann stieß sie fast tonlos hervor: »Sie meinen Franke n ?«
    »Haben Sie Franken oder Dollar gemein t ?« richtete die alte Dame die Frage an mich.
    »Sie selbst haben von Franken gesprochen, nicht wah r ?« sagte ich standhaft lächelnd.
    »Das ist ausgezeichnet«, sagte Miss Tina, als sei ihr bewusst geworden, wie maßlos ihre Frage sich angehört haben musste.
    »Was verstehst du denn davo n ? Du weißt doch gar nichts«, bemerkte Miss Bordereau, jedoch nicht mit Schärfe im Ton, sondern mit einer seltsam sanften Kälte.
    »Nein, von Geld – davon verstehe ich sicherlich nicht s !« räumte Miss Tina auf der Stelle ein.
    »Ich bin sicher, Sie haben Ihre eigenen Bereiche, in denen Sie besondere Kenntnisse besitzen«, erlaubte ich mir, in freundlichem Ton einzuwerfen. Irgendwie lag für mich etwas Schmerzliches in diesem Gespräch, seit es die Wendung genommen hatte, von Dollars und Franken zu handeln.
    »Als sie jung war, hat sie eine sehr gute Erziehung genossen. Ich habe mich selbst darum gekümmert«, sagte Miss Bordereau. Dann fügte sie hinzu: »Doch seither hat sie nichts dazugelernt.«
    »Ich habe meine ganze Zeit mit Ihnen verbracht«, erwiderte Miss Tina in freundlichem Ton und mit einer Bestimmtheit, in der keine Spur von Bosheit lag.
    »Das stimmt, und wäre es nicht so gewesen … !« erklärte ihre Tante mit unverhohlener ironischer Schärfe. Ganz offensichtlich wollte sie sagen, dass ihre Nichte, wenn es nicht so gewesen wäre, niemals im Leben zurechtgekommen wäre; zwar ging die tiefere Bedeutung dieser Bemerkung an Miss Tina vorbei, aber dennoch errötete sie, weil sie mit anhören musste, wie einem Fremden gegenüber etwas aus ihrer

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