Die Aspern-Schriften (German Edition)
ins Schloss fallen ließ, empfand ich die Gewissheit, meinen Fuß in der Festung zu haben, und ich nahm mir genauso fest vor, ihn dort zu belassen. Sie klapperte durch die feuchte, steinerne Eingangshalle, und ich ging hinter ihr her die steile Treppe – die mir noch steinerner vorkam – hinauf, ohne dass sie mich dazu aufgefordert hätte. Ich glaube, sie hatte eigentlich gemeint, ich sollte unten auf sie warten, aber das entsprach nicht meinen Vorstellungen, und so bezog ich meinen Posten im Empfangssaal. Am anderen Ende der weitläufigen sala entschwand sie in unergründliche Regionen, und mit klopfendem Herzen, wie ich es aus dem Wartezimmer des Zahnarztes kannte, schaute ich mich in dem Raum um. Der Empfangssaal hatte eine düstere Grandezza, doch verdankte er seine vornehme Wirkung vor allem seinen stattlichen Ausmaßen und den kunstvoll gearbeiteten Türen, die in der Höhe Eingangsportalen glichen; zu beiden Längsseiten gliederten sie die Wand in regelmäßigen Abständen und führten zu den verschiedenen Räumen. Über den Türstürzen befanden sich gemalte Wappen, alt und verblasst, und an den Wänden zwischen diesen Türen hingen hier und dort braunstichige Gemälde, die ich sogleich für außerordentlich schlecht befand, und zudem steckten sie in abgestoßenen, glanzlos gewordenen Rahmen, die immer noch erstrebenswerter waren als die Bilder selbst. Abg esehen von mehreren Stühlen mit geflochtenen Strohsitzen, die mit der Lehne zur Wand standen, enthielt der dunkle, langgestreckte Saal kaum anderes, was seine Wirkung hätte steigern können. Offensichtlich wurde er nie benutzt, außer zum Hindurchgehen, und auch dafür nur sehr selten. Zu dem Zeitpunkt, als sich die Tür, durch die das Dienstmädchen entschwunden war, wieder öffnete, das sollte ich noch erwähnen, hatten sich meine Augen an den Lichtmangel bereits gewöhnt.
Nun hatte ich mit meinem stillen Stoßgebet keineswegs gemeint, dass ich mit eigenen Händen die Erde des verwilderten Gartenstücks, das unterhalb des Fensters lag, bearbeiten wollte, aber die Dame, die von der gegenüberliegenden Seite über den harten, schimmernden Boden auf mich zukam, hätte Grund gehabt, dies zu vermuten, denn als ich zur Begrüßung auf sie zulief, rief ich aus, bewusst auf Italienisch: »Der Garten, der Garten – verraten Sie mir doch, ob es der Ihre is t !«
Sie hielt jäh inne, schaute mich verwundert an und sagte dann auf Englisch in einem kühlen, aber bedauernden Ton: »Nichts hier gehört mir.«
»Oh, Sie sind Engländerin, wie wunderba r !« rief ich unbefangen aus. »Aber der Garten gehört doch sicherlich zum Haus.«
»Ja, aber das Haus gehört nicht mir.« Sie war eine hochgewachsene, schlanke, blasse Person, die offenbar in einen Morgenmantel in matten Farben gekleidet war, und sie sprach sanft und in einfachen Worten. Sie bot mir keinen Platz an, ebenso wenig wie sie – sofern sie die Nichte war – Mrs. Prest Jahre zuvor zum Platznehmen aufgefordert hatte, und so standen wir uns in dem prunkvollen Saal von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
»Wären Sie dann wohl so freundlich, mir zu sagen, an wen ich mich wenden mus s ? Hoffentlich finden Sie mich nicht entsetzlich aufdringlich, aber wissen Sie, ich muss ganz einfach einen Garten haben, bei meiner Ehre, ich muss e s !«
Ihr Gesicht war nicht jung, aber es wirkte offen; es hatte keine Frische, war aber klar. Sie hatte große Augen, die nicht glänzten, üppiges Haar, das nicht frisiert war, und lange, feingliedrige Hände, die – möglicherweise – nicht sauber waren. Fast krampfartig rang sie diese langen Glieder, und mit verwirrtem, tief bestürztem Blick brach es aus ihr heraus: »Ich bitte Sie, nehmen Sie ihn uns nicht weg, wir lieben ihn doch selbst so seh r !«
»Sie dürfen ihn also benutze n ?«
»Aber ja. Wenn das nicht wäre … !« Und auf ihrem Gesicht erschien ein schwaches, unbestimmtes Lächeln.
»Ist das nicht ein wahrer Luxu s ? Und genau darum, weil ich vorhabe, ein paar Wochen in Venedig zu bleiben, vielleicht den ganzen Sommer über, und da ich literarische Arbeiten zu erledigen habe, viel lesen und schreiben will, wofür ich Ruhe benötige und doch, wenn möglich, viel Zeit an der frischen Luft verbringen sollte – eben darum kam mir ein Garten wirklich unverzichtbar vor. Ich darf Sie an Ihre eigenen Erfahrungen erinnern«, setzte ich hinzu und lächelte dabei so ungezwungen, wie ich nur konnte. »Dürfte ich nun einen Blick hineinwerfe n ?«
»Ich weiß
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