Die Aspern-Schriften (German Edition)
aber einen falschen Namen annehmen müssen«, sagte Mrs. Prest. »Juliana lebt so abgeschottet von der Welt, wie man nur irgend leben kann, dennoch könnte sie von Mr. Asperns Herausgebern gehört haben. Vielleicht besitzt sie sogar die von Ihnen veröffentlichten Bände.«
»Das habe ich bedacht«, entgegnete ich; und ich zog eine Visitenkarte aus meiner Brieftasche, die elegant mit einem gut gewählten nom de guerre bedruckt war.
»Sie übertreiben wirklich – dadurch machen Sie die Sache noch verwerflicher. Sie hätten den Namen auch mit Bleistift oder Tinte schreiben können«, sagte meine Begleiterin.
»So wirkt es glaubwürdiger.«
»Sie haben wirklich den Mut, der Ihrer Neugier angemessen ist. Doch für Ihre Korrespondenz wird es sich als ungünstig erweisen; in dieser Maskierung wird man Ihnen Ihre Briefe nicht aushändigen.«
»Mein Bankier wird sie für mich in Empfang nehmen, und ich werde sie jeden Tag bei ihm abholen. Das verschafft mir ein wenig Bewegung.«
»Soll das Ihr einziger Ausgang sei n ?« fragte Mrs. Prest. »Werden Sie mich denn gar nicht besuche n ?«
»Aber Sie werden doch Venedig während der heißen Monate verlassen, lange bevor sich irgendein Ergebnis abgezeichnet hat. Ich hingegen habe mich darauf eingestellt, den ganzen Sommer hier zu schmoren – genau wie später im Jenseits, werden Sie jetzt wohl sage n ! In der Zwischenzeit wird mich John Cumnor mit Briefen bombardieren, die mit meinem falschen Namen beschriftet sind, per Adresse der padrona .«
»Sie wird seine Handschrift wiedererkennen«, gab meine Begleiterin zu bedenken.
»Auf dem Umschlag kann er sie verstellen.«
»Sie sind mir ein feines Paa r ! Ist es Ihnen noch nicht in den Sinn gekommen, dass Sie zwar sagen könnten, Sie seien nicht Mr. Cumnor, man Sie aber dennoch verdächtigen könnte, Sie seien in seinem Auftrag hie r ?«
»Aber ja, und ich sehe nur eine Möglichkeit, dieser Gefahr zu begegnen.«
»Und die wär e ?«
Ich hielt einen Moment inne. »Der Nichte den Hof zu machen.«
»So, so«, rief meine Freundin aus, »warten Sie, bis Sie sie gesehen habe n !«
II
I ch muss den Garten in Ordnung bringen – ich muss den Garten in Ordnung bringen«, sagte ich fünf Minuten später zu mir selbst, während ich oben in der langgestreckten, düsteren sala wartete, wo der nackte Steinfußboden matt in einem schmalen Lichtstrahl schimmerte, der durch die geschlossenen Fensterläden fiel. Der Raum war imposant, wirkte aber irgendwie kalt und abweisend. Mrs. Prest war in ihrer Gondel davongefahren, wollte mich aber in einer halben Stunde an einem nahe gelegenen Landesteg wieder abholen. Und ich war tatsächlich in das Haus eingelassen worden, nachdem ich den rostigen Klingelzug betätigt hatte, und zwar von einem kleinen, rotschopfigen und weißgesichtigen Dienstmädchen, das noch sehr jung und keineswegs hässlich war und klappernde Holzpantinen und ein zur Haube gebundenes Kopftuch trug. Sie hatte sich nicht damit begnügt, die Tür von oben mit Hilfe der üblichen Vorrichtung in Form eines knarrenden Flaschenzugs zu öffnen, obwohl sie zunächst von einem höher gelegenen Fenster auf mich herabgeschaut hatte und den misstrauischen Zuruf auf mich niedergelassen hatte, der in Italien jedem Akt des Einlassens vorausgeht. Ganz grundsätzlich ärgerte es mich, dass solche mittelalterlichen Sitten sich erhalten hatten, obwohl es mir als begeistertem, wenn auch höchst spezialisierten Antiquitätensammler eigentlich hätte gefallen sollen. Doch da ich mir fest vorgenommen hatte, mich von der Türschwelle an um jeden Preis gewinnend zu zeigen, nahm ich meine falsche Karte aus der Tasche und hielt sie ihr lächelnd entgegen, als wäre sie ein magisches Zeichen. Die Wirkung war tatsächlich entsprechend, denn es veranlasste sie, wie ich schon sagte, mir ganz bis nach unten entgegenzukommen. Ich bat sie, ihrer Herrin die Karte zu überbringen, auf die ich zuvor schon auf Italienisch die Worte geschrieben hatte: »Hätten Sie die Güte, einen Gentleman, einen Amerikaner auf Reisen, für einen kurzen Augenblick zu empfange n ?« Die kleine Magd war nicht feindselig – vielleicht war damit schon etwas gewonnen. Sie errötete, sie lächelte und sah zugleich verschreckt wie auch erfreut aus. Ich konnte erkennen, dass mein Eintreffen eine große Sache war, dass Besuche in diesem Haus eine Seltenheit waren und sie ein Mensch war, der sich in einer lebhaften Umgebung wohl gefühlt hätte. Als sie die schwere Tür hinter mir
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