DIE ASSASSINE
Zorn in meiner Brust sich verdichtete, wie er mir in den Armen kribbelte, und ich bündelte meine Aufmerksamkeit noch mehr. Die Frau hob einen Arm und deutete zum Himmel, wobei sie nach wie vor schrie. Die andere Hand umklammerte die Enden des Tuchs, das um ihren Kopf gewickelt war. Der Mann mit dem Handkarren schüttelte den Kopf, beide Hände fest an den Griffen des Gefährts.
Und dann, ganz unvermittelt, veränderte sich meine Wahrnehmung.
Es war, als stünde ich bis zum Hals im Fluss, der südwärts durch Amenkor führte, nahe am Palast vorbei. Gleißendes Sonnenlichtfunkelte auf dem Wasser, und die Geräusche aus den Läden und von den Uferstraßen wurden auf seltsame Weise verstärkt durch die Wellen und klangen schärfer, klarer. Es war, als stünde ich dort, bis zum Hals im Fluss …
Und als duckte ich mich dann jäh unter die Oberfläche, hinein in die Dunkelheit.
Ich fühlte, wie ich aus der Welt aus Grau und Rot und Wind, an die ich gewöhnt war, in etwas anderes, Tieferes glitt. Das Grau verdüsterte sich. Bewegungsströme, die ich zuvor schwach bemerkt hatte, gingen in schattige Schwärze über. Der Wind im Hintergrund erstarb völlig; nur die Geräusche der Frau, des Mannes mit dem Handkarren und des Jungen blieben zurück. Und diese Geräusche waren jetzt klarer. Die Bewegungen wurden spärlicher und verlangsamten sich.
Ich schaute zu dem Jungen, zu der Frau, zum Sack zu ihren Füßen, und mit meinem neuen Gefühl des Bewusstseins wusste ich, was nun geschehen würde.
Ich zögerte nicht. Ich schwamm durch den dichten Strom der Menschen auf der Straße, streifte einen Arm, den ich nicht sah, eine Schulter – beide Empfindungen nahm ich nur flüchtig wahr wie die Berührung unsichtbaren Schilfs unter der Wasseroberfläche des Flusses –, und dann befand ich mich hinter dem mit Kohl beladenen Karren.
Der Karrenbesitzer sah mich an, als ich vorwärts stolperte, als wäre ich von hinten gerempelt worden. Meine Hand klatschte auf den Rand des Karrens, als wollte ich meinen Sturz abfangen. Mit argwöhnischem Stirnrunzeln spähte der Mann auf meine Finger. Die Frau schaute gar nicht erst in meine Richtung.
Gleich darauf hatte ich den Karren hinter mir gelassen, den Sack der Frau in einer Hand.
Ich huschte in die nächste Gasse, kauerte mich in die Nähe der Einmündung zur Straße, stellte den Sack zu meinen Füßen ab, drehte mich um und beobachtete das Geschehen draußen mit einem unterdrückten Grinsen. Die Wut war verflogen.
Der Junge befand sich nur zehn Schritte von der Frau und dem Karren entfernt, als er endlich bemerkte, dass der Sack verschwunden war. Mitten auf dem Siel erstarrte er so jäh, dass jemand von hinten in ihn hineinlief. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und sein Blick huschte von einer Seite zur anderen.
Dann sah er mich.
Ich grinste. Ich konnte nicht anders.
Seine Augen wurden noch schmaler, noch schwärzer, und ich spürte, wie das Hochgefühl in meinem Innern gefror. Gleichzeitig schwand mein neues, seltsam geschärftes Bewusstsein, was es noch schlimmer für mich machte, als nun die wahre Welt wieder über mich hereinbrach. Die Geräusche der Straße wurden lauter. Mein Grinsen zerbröckelte.
Ich packte den Sack, stand auf und wollte tiefer in der Gasse verschwinden. Ich wusste nicht, was sich in dem Sack befand; dennoch wollte ich nicht länger an Ort und Stelle verharren, um es herauszufinden.
Kaum war ich in die Tiefe der Gasse vorgedrungen, schlug das säuerliche Gefühl in meinem Innern in Übelkeit um, als jemand mich am Arm packte und herumriss.
Ich handelte, ohne nachzudenken, und hatte den Dolch gezückt, noch ehe ich erkannte, dass es der Junge war. Allerdings wirkte er aus der Nähe, ebenfalls mit einem Dolch in der Hand, weniger wie ein Junge und deutlich mehr wie ein Mann. Wir waren uns noch nie so nahe gekommen und hatten uns noch nie anders verständigt als durch finstere oder hitzige Blicke.
Er erinnerte mich an Tauber.
Heftig atmend trat er zurück. Zorn funkelte in seinem Blick. Das rote Muttermal an seinem Auge wirkte schwarz im trüben Licht der fernen Gassenmündung. Er sagte nichts, starrte mich nur feindselig an. Nach einem langen Moment holte ich tief Luft, um mein flatterndes Herz zu beruhigen, und fragte: »Was willst du?«
»Ich will meinen Sack.«
Ich schnaubte verächtlich und spürte, wie die seltsame Übelkeit zunahm. Ich schmeckte Galle in der Kehle, und ein Krampf durchlief meinen Magen. Ich verzog das
Weitere Kostenlose Bücher