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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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gesehen hatte. Ich hoffte, dass er in seinem Rücken nur noch die verrottenden Rückstände Tausender weggeworfener Leben wahrnahm.
    Beide Male drehte der Mann sich schließlich wieder um und setzte seinen Weg fort, und beide Male stieß ich mich nach ein paar Lidschlägen von der Mauer ab und folgte ihm weiter.
    Endlich blieb er vor einem verbogenen Eisentor stehen, das auf einen kleinen Hof führte, der von pechschwarzer Dunkelheit erfüllt war. Die Steinmauer des Hofs war eingestürzt und lag halb verfallen in der Gasse; auch der Bogen über dem Tor war eingebrochen. Der Mann schlüpfte durch eine Lücke zwischen den verbogenen Stäben und verschwand in der Finsternis dahinter.
    Ich kauerte mich zwanzig Schritt entfernt an eine Mauer und beobachtete das Tor. Mein Atem ging ganz leise. Irgendwo bellte ein Hund, und eine Ratte bahnte sich scharrend einen Weg durch die Ritzen der Steinmauer hinter mir. Ich spähte die Gasse in beide Richtungen entlang, sah niemanden, blickte erneut zum Tor und auf die undurchdringliche Schwärze hinter dem klaffenden Schlund des Durchgangs.
    Ich wollte dem Falkengesichtigen folgen, doch kaum hatte ich mich erhoben, um durch die Gasse zu schleichen, sträubten sich mir die Nackenhaare. Ein Schauder lief mir über den Rücken, und tief in meinen Eingeweiden spürte ich, wie kalt flackernd eine Flammenranke aufloderte.
    Ich verstand die Warnung, zögerte, holte tief Luft …
    Und entfernte mich vom Hof, bewegte mich zurück in Richtung des Siels, zurück zu meinem Unterschlupf.
    Ich wusste zumindest, wohin der Mann verschwunden war. Damit würde Erick, der Gardist, zufrieden sein müssen.
    Ich achtete nicht darauf, dass meine Arme zitterten. Ebenso wenig bemerkte ich, dass die Flammenranke in meinem Innern nicht erlosch.

    Am Tag darauf, bei Einbruch der Dunkelheit, bahnte ich mir wieder den Weg zum Nymphenbrunnen, wo Erick wartete.
    »Hast du Jobriah gefunden?«
    »Den falkengesichtigen Mann.«
    Erick lachte. Es war ein Geräusch, das mich schaudern ließ. »Den falkengesichtigen Mann. Das gefällt mir.« Dann verhärteten sich seine Züge. Die Augen blickten bohrend, der Mund bildete eine dünne Linie. Die Narben in seinem Gesicht zeichneten sich plötzlich deutlich ab. »Und kannst du mich zu ihm führen?«
    Ich nickte zögernd. Er wirkte nicht wie der Mann, der mir Orangen gebracht hatte. Nein, er schürte die Flammenranke, die immer noch in meinen Eingeweiden schwelte.
    »Gut. Bring mich hin.«
    Er machte keine Anstalten, mich zu berühren; dennoch wich ich ein Stück von ihm weg, als ich mich erhob.
    Wir entfernten uns vom Siel, tauchten ein in die Nebenstraßen und drangen immer tiefer vor. Wieder gingen verwitterte Lehmziegel in bröckeligen Stein über, wieder verwandelten sich Harn und Dreck in fauligen Schlamm und Kot. Erick folgte mir schweigend, als ich von Schatten zu Schatten huschte. Er machte gar nicht erst den Versuch, sich zu verbergen, und schien verstimmt über meine Hast, unternahm jedoch nichts, mich davon abzuhalten.
    Als wir die Straße vor der Gasse mit dem verbogenen Eisentor erreichten, war die Nacht vollends hereingebrochen, und die Flammenranke in meinen Eingeweiden war zu einem weißen Feuer angewachsen. Ich duckte mich an der Ecke der Gasse. Erick blieb vor der Einmündung stehen.
    »Das Tor«, sagte ich mit gedämpfter Stimme und drehte den Kopf, um dem Gardisten ins Gesicht zu blicken.
    Schritte hallten über die Straße, und Erick huschte geräuschlos in die Gasse hinein, eine Hand gesenkt, um mich mit sich zu ziehen. Aber das war unnötig. Ich hatte mich bereits in Bewegung gesetzt.
    Er warf mir einen kurzen, abwägenden Blick zu; dann erregte der Mann auf der Straße seine Aufmerksamkeit.
    Es war der Falkengesichtige. Jobriah.
    Wie in der Nacht zuvor hielt er vor dem Tor inne und duckte sich dann zwischen den Gitterstäben hindurch in die Dunkelheit dahinter.
    Mit vor Anspannung steifem Körper rückte nun auch Erick vor. Er ließ den Blick prüfend über die Straße wandern, lauschte den Geräuschen der Nacht – ein Windstoß, ein fernes Klappern, jedoch nichts in der Nähe.
    Er überquerte die Gasse und huschte lautlos wie ein Schatten auf den Hof.
    Das weiße Feuer in meinen Eingeweiden züngelte hoch, als ich die Plötzlichkeit seiner Bewegung sah. Dann legte es sich wieder, erlosch aber nicht.
    Unruhig und unentschlossen harrte ich an der Mündung der Gasse aus. Erick hatte nichts davon gesagt, dass ich bleiben und warten sollte. Ich hatte den

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