DIE ASSASSINE
Gesicht. »Das ist nicht deiner«, presste ich durch die Wand aus Schmerzen hervor.
»Noch nicht, aber bald«, gab er schroff zurück. Weiter kam er nicht. Ein weiterer Krampf ließ mich scharf nach Luft schnappen. Der Sack fiel mir aus der Hand, als ich mich vornüber krümmte und schaudernd auf die Knie sank. Der Junge sprang erschreckt und verwirrt zurück; dann fasste er sich wieder und stolperte vorwärts, um den Sack zu ergreifen, während ich auf die Seite kippte und die Knie anzog. Die Galle fühlte sich wie Feuer an, versengte mir die Kehle, und die Schmerzen in meinem Leib strahlten abwechselnd heiß und kalt durch meine Brust. Ich spürte, ohne dass ich es sah, wie der Junge sich über mich beugte, und fühlte seinen Atem im Gesicht, als er mir ins Ohr zischte: »Leg dich nicht mit mir an, Miststück.« Dann war er verschwunden.
Ich sah einen zurückweichenden Schatten und kämpfte gegen die drohende Ohnmacht. »Ich heiße Varis«, murmelte ich vor mich hin, als das Sonnenlicht am Ende der Gasse in mein Blickfeld geriet, ein heller Fleck, der nur kurz getrübt wurde, als der Schatten des Jungen darin erschien und sofort wieder verschwand.
Ich richtete noch immer alle Aufmerksamkeit krampfhaft auf das Licht. Die seltsamen Qualen verebbten allmählich – da sah ich den Mann mit dem Falkengesicht.
Er ging an der Mündung der Gasse vorbei, ohne hereinzuschauen. Im einen Augenblick war er noch da, im nächsten war er fort. Wahrscheinlich hätte ich ihn nicht bemerkt, hätte ich nicht so erbittert darum gekämpft, bei Bewusstsein zu bleiben für den Fall, dass der Junge beschloss, zu mir zurückzukommen. Oder für den Fall, dass etwas noch Schlimmeres über mich stolperte.
Eine Zeit lang lag ich wie betäubt da. Lange genug, dass der Sonnenschein an der Mündung der Gasse verblasste, als eine Wolke sich vor die Sonne schob.
Dann rollte ich mich auf die Knie. Wieder überflutete mich eine Woge der Übelkeit. Ich würgte, und ein saurer Geschmack stieg mir in den Mund. Als der Anfall vorüber war, rappelte ich mich mühsam auf, stützte mich an der Mauer ab und bahnte mir den Weg zum Eingang der Gasse.
Ich rechnete nicht damit, den Mann noch einmal zu sehen. Es hatte zu lange gedauert, bis zur Straße zu gelangen. Doch wider Erwarten entdeckte ich ihn sofort. Er hatte ungefähr zwanzig Schritte entfernt angehalten, mit dem Rücken zu mir. Ich beobachtete, wie er den Blick prüfend über den Siel schweifen ließ, als würde er nach jemandem Ausschau halten. Dann drehte er sich um, und nun sah ich deutlich sein Gesicht.
Es passte zur Beschreibung des Gardisten. Schwarzes Haar, dunkle Augen, schmale Züge, eine scharf geschnittene Nase. Eine Waffe konnte ich nicht entdecken, wusste jedoch, dass er irgendwo einen Dolch verborgen hatte.
Wieder ließ er den Blick über den Siel wandern; dann bog er weiter oben in eine Gasse.
Ich stieß mich von der Mauer ab, um ihm zu folgen, doch ein neuerlicher Krampf bewirkte, dass ich mich am Rand des Siels nach vorn krümmte und heftig würgte. Die Leute auf der Straße strömten um mich herum, wobei sie ängstlich Abstand hielten, als hätte ich die Pest. Ich lehnte mich gegen die nächstbeste Mauer, bis der Krampf verebbte. Dann richtete ich mich auf.
Ich fühlte mich verschwitzt, zugleich fröstelte ich. Mit dem Handrücken wischte ich mir über den Mund, ehe ich langsam in Richtung meines Unterschlupfs schlurfte. Es ging mir nicht gut genug für weitere Aktivitäten auf dem Siel. Der falkengesichtige Mann würde warten müssen.Den Rest des Tages und den größten Teil der Nacht verbrachte ich in meinem Unterschlupf. Immer wieder verlor ich das Bewusstsein, um es bald darauf wiederzuerlangen. Kälteschauer durchrieselten mich, die bisweilen so heftig waren, dass ich mir den Kopf an den verwitterten Lehmziegeln anschlug, während ich hilflos mit den Armen ruderte, wobei mir der Speichel aus dem Mund troff. Einmal biss ich mir so fest auf die Zunge, dass sie blutete.
Als die Krämpfe nachließen, legte ich mich auf den Steinboden und weinte. Das Schluchzen beutelte meinen Körper so schmerzhaft wie die Krämpfe, doch ich konnte einfach nicht aufhören. Ich wusste nicht, was mit mir geschah; ich wusste nicht, wie ich es beenden konnte.
Irgendwann wurde mir verschwommen bewusst, dass die Abstände zwischen den Anfällen länger wurden, während die Krämpfe kürzer währten und auch nicht mehr so heftig ausfielen. Sie verebbten immer mehr, bis ich mich schließlich auf
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