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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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erkennbar.
    An der Wand der Gasse ließ ich mich nieder. Ich war schon viele Male hier gewesen, doch die Erinnerungen waren undeutlich, verschwommen im Sonnenlicht. Das Licht gleißte im Wasser des Beckens, funkelte unter kindlichem Gelächter. Ich schloss die Augen und konnte spüren, wie das Wasser aus der Urne sich in mein Haar ergoss; ich konnte seine Kühle schmecken, als es mir in den Mund drang. Doch alles wirkte zu grell, zu verwaschen.
    Ich spürte die Hände einer Frau, die meine Schultern berührten und mir unter die Arme fassten, um mich aus dem Wasser zu heben …
    »Also bist du doch gekommen.«
    Ich schlug die Augen auf und starrte in das Gesicht des Suchers, das ich in der Düsternis nur halb erkannte. Er hatte mit sanfter Stimme gesprochen, und nun blickte er fragend auf mich herab.
    »Alles in Ordnung?«
    Ich wischte die Tränen weg. »Ja.«
    Er runzelte die Stirn, als glaubte er mir nicht, und verlagerte seine Haltung. Die kalte, harte Gefahr, die tief im Innern seiner Augen zu sehen war, schwand allmählich.
    Einen Lidschlag lang dachte ich, er würde die Hand ausstrecken, um mich im Gesicht zu berühren. Ich schrak zurück, die Hand am Dolchgriff, obwohl irgendetwas in meinem Innern mich drängte, mich stattdessen vorzubeugen.
    Der Mann griff nicht nach mir. Von seinem ausgestreckten Arm baumelte ein kleiner Sack.
    »Nimm ihn«, forderte er mich auf, als ich zögerte.
    Den verborgenen Dolch umklammernd, beugte ich mich vor und ergriff den Sack, wobei ich einen Anflug von Enttäuschung unterdrückte. Der Sack war schwer und auf seltsame Weise ausgebeult.
    Ich öffnete ihn. Orangen waren darin. Gute Orangen mit fester, makelloser Schale. Und ein Laib Brot. Und Käse.
    Tränen traten mir in die Augen und brannten so heftig, dass ich die Lider zukneifen musste. Mein Magen krampfte sich zusammen.
    Ich dachte an die Lumpenfrau, an den Jungen mit dem geschärften Löffel und der toten Ratte, und fragte heiser: »Was soll ich dafür tun?«
    Der Gardist hockte sich vor mich hin. Der Himmel zeichnete sich dunkel hinter ihm ab. »Ich suche nach einem Mann. Schwarzes Haar. Schmales, spitzes Gesicht, das an einen Falken denken lässt. Seine Augen sind dunkel, ihr Blick ist bohrend. Er trägt einen Dolch mit gebogenem Griff, rückwärts gekrümmt, sodass er sich leicht um die Hand schmiegt. Halte nach ihmAusschau. Wenn du ihn siehst, folgst du ihm. Finde heraus, wohin er geht, wo er sich versteckt. Dann komm zu mir. Ich werde jeden Tag bei Sonnenuntergang hier sein.«
    »Jeden Tag?« Ich fasste in den Sack, riss einen Brocken aus dem Brot und stopfte ihn mir in den Mund.
    Der Gardist zögerte, als wäre er unsicher, was seinen Vorschlag anging. Obwohl nur Mondlicht herrschte, hatte er die Augen zusammengekniffen. Dann schüttelte er den Gedanken ab. »Falls ich nicht auftauche, wird einer der anderen Sucher hier sein … ein Gardist wie ich. Sag ihm, er soll Erick eine Botschaft überbringen. Er wird wissen, wer ich bin.«
    Ich nickte bloß. Meine Aufmerksamkeit galt hauptsächlich dem Essen. Das Brot hatte ich mittlerweile verschlungen, und vom Käse war nicht mehr viel übrig. Die Orangen hob ich mir auf. So etwas bekam man sehr selten. Ich hatte bisher erst einoder zweimal Orangen auf dem Siel gesehen, und selbst da waren sie halb verfault gewesen.
    »Wie lautet dein Name?«
    Ich erstarrte, die Augen geweitet, die Lippen zusammengepresst. Ich atmete heftig durch die Nase, und mein Herz pochte wild in der Brust. Der Geschmack von Käse brannte mir auf der Zunge.
    Nach einem Augenblick schluckte ich den Bissen hinunter. Der Käse glitt mir wie ein großer Stein durch die Kehle. Erst hustete ich vor Schmerz, dann hustete ich noch heftiger ob der Qualen, die das Husten in meiner Brust hervorrief.
    Erick beobachtete mich aufmerksam. »Hast du überhaupt einen Namen?«
    Ja, ich hatte einen Namen. Allerdings hatte ihn seit mehr als acht Jahren, seit dem Tod meiner Mutter, niemand mehr benutzt. Er hatte niemanden gekümmert. Weder die Frau, die mich im Alter von sechs Jahren bei sich aufgenommen hatte, noch Taubers Straßenbande, zu der ich mich anschließend geflüchtet hatte.
    Ich ließ den Kopf sinken und starrte in den offenen Schlunddes Sacks, hinein in die Dunkelheit, in der die Orangen ruhten. Das Gefühl von Scham ließ meine Haut brennen. Und noch etwas anderes durchströmte mich … dasselbe Etwas, das mir gesagt hatte, ich solle mich vorbeugen, als Erick mir den Sack mit den Orangen entgegengestreckt

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