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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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bewaffnete Palastgardisten in Habachthaltung postiert. Hätte nicht einer von ihnen gehustet, ich hätte sie für Statuen gehalten.
    Von dem plötzlichen Bewusstsein erfüllt, dass ich in der Mitte der Halle stand und auf sechs ausgebildete Kämpfer mit scharfen Schwertern blickte, machte ich kehrt und eilte dorthin, wo der Gang weiterführte, über den ich die Halle auf der anderen Seite betreten hatte. Ich versuchte, wie ein Page zu erscheinen, den der Anblick vor Ehrfurcht hatte erstarren lassen, der sich dann aber wieder auf seine Pflichten besonnen hatte.
    Sobald ich mich außer Sichtweite der Gardisten befand, wich meine ehrfürchtige Miene einem finsteren Ausdruck.
    Närrin! Woher sollten diese Männer wissen, wer ich wirklich war und was ich im Schilde führte?
    Ich schüttelte den Kopf, blieb in Bewegung und kam durch weitere leere Räume, bewegte mich über weitere verwaiste, schummrig beleuchtete Gänge. Als nach einer Weile keine Geräusche von Verfolgern zu hören waren, atmete ich ein wenig freier.
    Es war unmöglich, durch den Haupteingang zu kommen, solange die Gardisten ihn bewachten. Zwar gab es noch andere Zugänge – für Köche, Mägde, Würdenträger, die nicht dabei gesehen werden sollten, wie sie den Haupteingang passierten –, aber auch die würden bewacht sein. Meine Verkleidung als Page würde mir dort nicht weiterhelfen. Die Gardisten überprüften alles und jeden zu gründlich.
    Allerdings gab es noch einen anderen Weg.
    Ich betrat ein Wartezimmer. Überall in dem Raum verteilt ragten Säulen zwischen niedrigen Tischen auf. Ein halb leerer Wasserkrug und ein bereits geplündertes Tablett mit Obst standen auf einem der Tische. Im Vorbeigehen ergriff ich eine Traubenrispe.
    Dann erstarrte ich, eine Weintraube halb zum Mund erhoben, und spitzte die Ohren. Jemand näherte sich. Zwei Männer, die sich hitzig unterhielten.
    Als sie näher kamen, erkannte ich eine der Stimmen.
    Rasch ließ ich den Blick durch das Wartezimmer schweifen und sah ein Maßwerk aus geschnitztem Holz, das einen kleinen Teil des Raumes abtrennte, damit man dort ungestört sein konnte. Ich eilte dorthin. Tief in die Ecke geduckt, steckte ich mir in dem Moment die letzte Traube in den Mund, als die Männer den Raum betraten, immer noch außer Sicht.
    »… glaube nicht, dass ich das noch einmal ertragen kann«, sagte ein Mann. Seine Stimme bebte. »Die Letzte … Ich höre immer noch ihre Schreie. Und wie sie auf dem Thron um sich geschlagen hat! Als hätten wir sie in ein Bett voller glühender Kohlen geworfen!« Schaudernd holte er Luft. »Ich glaube nicht, dass ich es ertragen kann, noch eine sterben zu sehen. Nicht so.«
    »Ganz deiner Meinung.«
    Ich beugte mich vor, die Augen zu Schlitzen verengt. Der zweite Mann, der sprach, war Avrell, der Oberhofmarschall der Regentin. Der Mann, der mich in den Palast geschickt hatte, um die Regentin zu töten. Der Mann, der mir den Plan, die Kleidungund den Schlüssel zur Verfügung gestellt hatte. Anders als bei seinem Begleiter klang seine Stimme ruhig, gefasst und so sanft wie warmes Sonnenlicht.
    Die Männer kamen näher. Trotzdem konnte ich sie immer noch nicht sehen, nicht von diesem Blickwinkel aus. Ich zog mich an die Wand zurück und verharrte regungslos.
    Avrell fuhr fort: »Findest du nicht auch, dass es keine Zweifel mehr geben kann, Nathem? Dass die Regentin tatsächlich wahnsinnig ist?«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen; dann kam zögernd die Antwort: »Ja.« Eine Pause. Dann, mit mehr Nachdruck: »Ja. Ja, es besteht kein Zweifel mehr. Nicht nach dem Feuer im Händlerviertel.«
    Ich zuckte vor Schuldgefühlen zusammen und verlagerte unbehaglich das Gewicht.
    »Hat es das Feuer gebraucht, um dich zu überzeugen?«, fragte Avrell. »Ich war mir bereits sicher, als sie den Hafen schließen ließ.«
    Nathem seufzte. »Ja. Wie konnte sie nur diesen Befehl erteilen? Wie kann sie den Hafen geschlossen halten, obwohl unsere Mittel so knapp sind und der Winter so nahe bevorsteht? Und nun auch noch das Feuer. Das ergibt keinen Sinn. Wir müssen den Hafen öffnen. Das ist unsere einzige Hoffnung, den Winter zu überleben.«
    Die Männer kamen in mein Blickfeld.
    Beide trugen dunkles Blau, das in der Finsternis beinahe schwarz wirkte, und hatten keine Laternen bei sich. Ein vierzackiger Goldstern, auf die Brust von Nathems Robe gestickt, ließ seinen Rang als Hofmarschall erkennen. Er war älter als Avrell, besaß stumpfgraues Haar und ein zerfurchtes Gesicht. Außerdem

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