DIE ASSASSINE
hatte er breitere Schultern und ging aufrechter. Dennoch wirkte Avrell, der die Hände in den Ärmeln seiner Gewänder verborgen hatte, eindrucksvoller und Ehrfurcht gebietender. Seine Robe zierte ein achtzackiger Stern – ähnlich wie der aufNathems Kutte, doch zusätzlich mit vier kürzeren, dolchartigen Zacken dazwischen.
»Aber alle Versuche, die Regentin zu ersetzen, schlagen fehl«, fuhr Nathem fort, während er und Avrell langsam durch den Raum schritten. Keiner der beiden schaute in die Richtung des Maßwerks. »Wir haben es mittlerweile … wie oft versucht? Sieben Mal? Irgendetwas klappt einfach nicht.«
»Ich verstehe es auch nicht«, erwiderte Avrell nachdenklich. »Wir wählen die Mädchen unter den Bediensteten genau so aus, wie wir es immer getan haben. Wir nehmen die Mädchen mit der größten Begabung, die Vielversprechendsten, die ihre Gabe am besten einsetzen. Aber das scheint nicht mehr zu genügen. Es sieht so aus, als wäre mehr erforderlich.« Verwirrt schüttelte er den Kopf, behielt den Blick jedoch auf Nathem gerichtet. »In der Vergangenheit hat es immer gereicht.«
»Ja, aber da war die Regentin noch nicht wahnsinnig!«, warf Nathem ein. »In der Vergangenheit haben wir immer nur versucht, eine Nachfolgerin zu finden, weil die Regentin tot war!«
Avrell blieb stehen. Sein Rücken versteifte sich, seine Lippen bildeten eine schmale Linie. Er starrte auf Nathem, der ein paar Schritte weiterging, ehe ihm klar wurde, dass Avrell angehalten hatte.
Der Hofmarschall drehte sich um, die Stirn gerunzelt. »Was ist?«, fragte er.
Avrell erwiderte nichts, sah Nathem nur eindringlich an. Die beiden standen in der Nähe des Tisches mit dem Wasserkrug und den Resten des Obstes.
Nathems Stirnrunzeln vertiefte sich; dann glätteten sich die Falten, als ihm die Einsicht kam. Er hob den Kopf, die Augen geweitet.
»Was die Regentin betrifft …«, setzte er an. Dann schien ihm irgendetwas im Hals stecken zu bleiben, und er verstummte.
Der Raum fühlte sich nicht mehr offen und luftig an. Plötzlich wirkte er beengt und stickig.
Ich zog mich weiter hinter das Maßwerk zurück, das mich vom äußeren Raum abschirmte. Nathems Gesicht war durch das Muster hindurch trotz der Dunkelheit deutlich zu erkennen.
»Du hast es selbst gesagt«, murmelte Avrell. »Wir haben es sieben Mal versucht, haben die mächtigsten Bediensteten eingesetzt, doch jedes Mal wurde der Ersatz …« Avrell stockte, schien sich zu wappnen. »Nein. Wir sind am Ende unserer Möglichkeiten. Der Winter steht zu dicht bevor. In allen sieben Fällen sind die Frauen gestorben, die als Ersatz für die Regentin dienen sollten. Gute, vertrauensvolle Frauen. Frauen, die wir gefunden, großgezogen und zu diesem einen Zweck ausgebildet haben, seit sie Kinder waren. In der Vergangenheit haben schon andere bei dem Versuch, den Thron zu besteigen, ihr Leben gelassen, aber niemals auf diese Weise.« Avrells Stimme war ein wenig lauter geworden, doch nun dämpfte er sie wieder. »Irgendetwas stimmt nicht. Irgendetwas ist diesmal anders.«
Nathem seufzte. »Das Feuer.«
Avrell nickte. »Das Feuer. Und wie du selbst gesagt hast, war die Regentin in der Vergangenheit stets tot, wenn eine Nachfolgerin auf den Thron gesetzt wurde. Selbst als das Feuer zum ersten Mal durch Amenkor fegte. Damals wurde die Regentin gemeuchelt, damit eine andere den Thron einnehmen konnte. Sie musste sterben, weil das Feuer die Regentin in den Wahnsinn getrieben hatte, sodass eine Nachfolgerin benannt werden musste.«
»Das weiß man nicht mit Sicherheit«, gab Nathem scharf zurück. »Wir wissen nur, dass sie getötet wurde. Warum, wissen wir nicht. Das ist zu lange her. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber.«
Avrell erwiderte nichts. Die beiden standen vollkommen regungslos da – Avrell Respekt heischend, Nathem voller Strenge.
Rasch und eindringlich huschten Nathems Blicke über Avrells Gesicht. Dann wiegte Nathem sich leicht zurück, als wäre er geschlagen worden. Es war eine kaum merkliche Bewegung, doch Avrells Schultern entspannten sich.
»Du kannst nicht ernsthaft vorschlagen …«, setzte Nathem an.
»Ich habe nicht die Absicht, etwas vorzuschlagen «, wurde er von Avrell unterbrochen, dessen Stimme wie ein Stein in den Raum fiel.
Nathem zögerte kurz. »Wir haben geschworen, ihr zu dienen«, begehrte er schließlich auf, jedoch ohne Kraft hinter den Worten. »Wir haben geschworen, sie zu beschützen.«
Avrell streckte die Hand aus, legte sie Nathem
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