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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Lachen, fast unhörbar. »Nicht weit.«
    Ein Grunzen und Schnaufen. Ruckartige Bewegungen, als kämpfte der Mann sich eine Treppe hinauf. Dann drehte er sich um und drückte mich zwischen eine Wand und sich selbst. Seine Hand ließ mich los. Ich riss den Kopf von seinem Hemd zurück und atmete tief ein, begleitet von einem kläglichen Aufschrei derVerzweiflung. Immer noch herrschte der Gestank des Siels vor, doch ich roch auch Spuren von Nachtluft. Der Mann fluchte, riss heftig an etwas Unnachgiebigem, das schließlich mit einem widerlich feuchten Laut nachgab. Dann war die Hand wieder da, drückte mich noch fester. Der Hauch von Nachtluft verschwand, und ich schmeckte wieder Moder und Dunkelheit. Er taumelte von der Wand zurück. Sein Atem ging nun keuchend und scharf. Seine Stimme war tiefer geworden, klang dunkel und rau. Ich hörte Tod in seinem Tonfall. Keine Worte, kein Wispern, nur kehlige Begierde.
    Dann stieß der Mann mich von sich, von der erstickenden Dunkelheit seiner Schulter gegen eine Lehmziegelmauer. Die Luft wurde mir aus dem Leib gepresst, als ich einzuatmen versuchte. Mein Kopf stieß mit Wucht gegen den Stein.
    Die Welt schwankte, als ich zusammenbrach. Ich sah die Sterne, den Mond, den schmalen Vorsprung, auf dem wir angehalten hatten. Die Mauer, gegen die ich geprallt war, bildete ein zweites Geschoss, kleiner als das erste. Der Vorsprung um den Rand maß nur fünf Schritte in der Breite. Genug für den keuchenden Mann, um mich dort auf den Boden zu drücken, wo ich hingefallen war, indem er mir die Hand grob auf die Brust presste. Er schlug mich und grunzte, als seine Faust mich traf. Mein Kopf schnellte zur Seite, sodass ich den Vorsprung entlang und über den Rand blickte. Benommen spürte ich, wie der Mann sich auf mir bewegte, wie er sich an meinen Kleidern zu schaffen machte, sie zerriss, während ich über den Hafen hinweg die Stadt Amenkor sah. Nicht den Siel und die Elendsviertel, sondern die richtige Stadt. Ich sah das Wasser der Bucht, übergossen von gesprenkeltem Mondlicht. Ich sah die Docks, die Masten der Schiffe, die seltsam verwinkelten Dächer und Gebäude, die leicht in meine Richtung anstiegen. Auf der entfernten Seite der Stadt schimmerte der Palast vor Feuerlicht, matt und unheimlich. Ich spürte eine Brise, die vom Wasser herüberwehte, sauber und rein.
    Die Bewegungen des Mannes nahm ich kaum wahr. Benommenstarrte ich aufs Wasser. Ich wusste, was geschah, was geschehen würde. Ich hatte es schon gesehen, in den Elendsvierteln jenseits des Siels, in Gassen, Nischen und leeren Löchern. Ich hatte Schreie gehört, gezückte Dolche erspäht, Blut fließen sehen. Elf Jahre hatte ich jenseits des Siels gelebt, ein Jahr davon bei Tauber und seiner Bande, die aus dem Abschaum der Straße bestand. Ich verbrachte gerade so viel Zeit bei ihnen, dass ich lernte, alleine zu überleben, und auch, wie man stahl, ohne erwischt zu werden. Ich war gegen Tod, Krankheit und Verkommenheit abgestumpft. Ich fühlte nichts.
    Dennoch weinte ich.
    Dann erblickte ich durch den Schleier der Schmerzen und Taubheit, durch die Nacht und die Tränen den Horizont. Der Mond stand hoch am Himmel, jedoch im Westen, und am Horizont schimmerte ein weißes Licht wie der erste Hauch eines neuen Tages.
    Nur, dass die Sonne im Osten aufging.
    Ich runzelte die Stirn, und zum ersten Mal an jenem Tag verblasste die Welt zu einem eintönigen Grau. Der Mann, der mich auf dem Dachvorsprung zu Boden drückte, verwandelte sich in einen roten Schemen; sein Grunzen, während er sich mit seiner Hose abmühte, vermischte sich mit dem Rauschen des Windes. Die Welt fiel in die immer grellere, weiße Linie am Horizont zusammen, die sich nach Norden und Süden ausbreitete und zu einem langen Bogen wuchs, bis sie die Nacht erfüllte. Schneller als der Sonnenaufgang raste es herbei – ein reines, gleißendes Weiß. Und als es sich näherte, als die Nacht heller wurde, erkannte ich es plötzlich.
    Das Weiße Feuer aus den Legenden.
    Es war genau so, wie die Leute auf den Straßen es beschrieben. Eine Mauer, die den Horizont ausfüllte, deren Flammen hoch und immer höher in den Himmel züngelten und die Sterne verschluckten, während sie herankam, unaufhaltsam und entsetzlich schnell.
    Der Mann auf mir erstarrte, als das Feuer die Bucht erreichte und sich einen Weg über das vom Mondlicht gesprenkelte Wasser sengte. Die Schatten der Schiffe und der Docks zeichneten sich scharf vor dem weißen Licht ab; dann wurden sie vom

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