DIE ASSASSINE
Bewegungen wirkten unbeholfen, als hätte er noch nie jemanden in den Armen gehalten und getröstet. Doch ich nahm es kaum wahr; zu sehr war ich gefangen in der Erinnerung an das Feuer … und an das, was danach kam. Ich lehnte mich an Erick und weinte lautlos.
Ich hatte ihm nicht alles erzählt. Ich hatte verschwiegen, dass jenes Feuer einen Teil seiner selbst in mir zurückgelassen hatte – eine konzentrierte, schlummernde Kraft, die warnend aufflammte, wenn ich bedroht wurde. Ich sagte Erick nicht, dass das Feuer manchmal noch brannte.
Nachdem wir lange dagesessen hatten, ergriff er meine Schultern und schob mich von sich, sodass er mir in die Augen blicken konnte.
»Er ist jetzt tot, Varis.«
Schniefend nickte ich und wischte mir mit beiden Händen die Tränen aus dem Gesicht. »Ich weiß.«
Erick streichelte mir übers Haar, drückte mir die Schulter und stand auf. »Gut.« Er blickte hinaus in die Nacht. Die Sonne war untergegangen; nur noch Sternenlicht erhellte das ansonsten dunkle Elendsviertel. Erick seufzte und drehte sich wieder zu mir. »Kommst du zurecht?«
Ich nickte abermals.
Er zögerte, als glaubte er mir nicht.
Ich sammelte mich, erhob mich ebenfalls und sah ihm in die Augen. »Es ist fast fünf Jahre her, dass die Geschichte sich zugetragen hat. Inzwischen geht es mir gut.«
Forschend blickte er mir in die Augen. Schließlich nickte er. »Dann sehen wir uns morgen. Vielleicht habe ich bis dahin ein neues Opfer. Jemanden, nach dem du und Blutmal suchen könnt. Gemeinsam.«
Ich verzog das Gesicht, erwiderte jedoch nichts.
Blutmal und ich suchten niemals gemeinsam nach Opfern.
»Hast du ihn schon gefunden, Varis? «
Ich erschrak, als Blutmal sich plötzlich aus den nächtlichen Schatten in meinem Rücken löste. Er hatte meinen Namen verzerrt ausgesprochen. »Varis« hatte wie ein boshaftes Zischen geklungen, scharf und verletzend und in einem Tonfall wie dem des Wagenbesitzers, der mich vor Jahren als Dirne bezeichnet hatte.
Blutmal lachte, als er mich zusammenzucken sah, und kauerte sich unangenehm nah hinter mich.
Ich bewegte mich vorwärts. Meine Hand ruhte auf meinem Dolch.
»Also, was ist? Hast du ihn gefunden? Den ›plattnasigenMann‹? So nennst du ihn doch, oder?« Selbst im Flüsterton klang Blutmals Stimme höhnisch.
Verärgert runzelte ich die Stirn. Dann log ich: »Nein, ich habe ihn nicht gefunden. Und ich nenne ihn Tomas.«
In Wahrheit hatte ich ihn am Tag zuvor gesehen, allerdings nicht auf dem Siel, sondern in einer der Gassen. Ich hatte versucht, ihm zu folgen, ihn jedoch rasch aus den Augen verloren, denn im Unterschied zu Garrell verströmte er keinen Geruch; außerdem hatte es sehr viele Wege gegeben, die er hatte einschlagen können. Und wenn ein Opfer erst außer Sicht geriet, vermochte ich es auch mit Hilfe des Flusses nicht zu finden – es sei denn, es besaß einen eigenen Geruch.
Und ich nannte ihn tatsächlich den »plattnasigen Mann«.
Ich spürte, dass Blutmal auf meinen Nacken starrte, und empfand ein Kribbeln auf der Haut, drehte mich aber nicht um. Stattdessen richtete ich die Aufmerksamkeit auf den Siel vor mir und rückte abermals ein Stück von Blutmal weg.
»Lügnerin«, sagte er leise. Ich hörte ein Lächeln in seiner Stimme. Es jagte mir einen Schauder über den Rücken, der mich zwang, mich umzudrehen und ihm in die Augen zu blicken, die in der Dunkelheit kalt und leer wirkten. Sein Muttermal zeichnete sich schwarz im Mondlicht ab.
Ohne zu blinzeln, hielt er meinem Blick stand. Sein Lächeln wurde breiter.
Er wusste es. Er wusste, dass ich gelogen und den plattnasigen Mann gefunden oder zumindest gesehen hatte.
Ich hatte das Gefühl, eine schwere Hand würde mir auf die Brust drücken. Das kalte Feuer in meinem Innern schnürte mir die Kehle zu, sodass mir das Atmen schwer wurde.
Mühsam löste ich mich von Blutmals Blick und wandte die Aufmerksamkeit wieder der Straße vor mir zu.
Blutmal tat es mir gleich, wobei er weit genug vorrückte, dass ich aus dem Augenwinkel sein Gesicht sehen konnte.
»Was beobachtest du?«, fragte er, diesmal mit ehrlicher Neugier.
Unwillkürlich zuckten meine Blicke zur Tür des mehlweißen Mannes, zu dem losen Stein rechts vom Eingang, und ich sah, wie Blutmal den Blick verlagerte und die Stirn runzelte, wobei er sich leicht zurücklehnte.
Das Gefühl der Hand auf meiner Brust wurde stärker. Plötzlich wollte ich nicht, dass Blutmal von dem mehlweißen Mann erfuhr, wollte nicht, dass er von den
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