DIE ASSASSINE
als dass es Erick hören konnte. Jäh züngelte das Feuer in mir auf.
Blutmals Dolch zuckte mit einer kurzen Bewegung nach außen und ritzte mir den Unterarm auf. Ich zischte vor Schmerz. Abermals schoss meine Hand vor, traf Blutmal mitten auf der Brust und stieß ihn von mir.
Er schrie auf und rollte über den Boden, rappelte sich binnen eines Atemzugs jedoch wieder auf und stand in geduckter Haltung da.
»Das reicht!«, brüllte Erick und baute sich zwischen uns auf. »Was soll das, um alles in der Welt?«
»Das Miststück hat mich weggestoßen, obwohl ich gerade aufstehen wollte!«
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu und rief: »Er hat mich mit dem Dolch geschnitten.«
Ericks Augen verdunkelten sich schlagartig, und er wandte sich Blutmal zu.
»Das war ein Unfall«, spie Blutmal hervor. »Das wollte ich nicht.«
Unsicher zögerte Erick. »Dass mir das nicht noch einmal geschieht!«, sagte er schließlich. »Das gilt für euch beide.« Er schaute zur untergehenden Sonne. »Genug für heute. Wir machen morgen weiter.«
Blutmal stand auf und klopfte sich naserümpfend die Kleidung ab; dann stapfte er davon und hielt auf das Gewirr der Elendsviertel zu – allerdings nicht, ohne zuvor ein hinterhältiges Grinsen und einen verschlagenen Blick in meine Richtung zu werfen.
Erick kniete sich hin, als ich mich aufsetzte, und zog meinen Arm zu sich heran, um sich die Schnittwunde anzuschauen. Mit gerunzelter Stirn blickte er darauf. Das Blut war bereits geronnen, der Schmerz verschwunden.
»Das hat er absichtlich getan«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war. »Warum glaubst du ihm?«
Ein verärgerter Ausdruck huschte über seine Züge, und er ließ meinen Arm sinken. »Weil er nützlich ist.«
»Er hasst mich. Und er ist bösartig.«
»Bist du das nicht auch?«, gab Erick zurück und stand auf. Er deutete auf meinen Dolch. »Was ist damit? Ein Gardistendolch. Wir trennen uns nicht leicht davon. Wie hast du ihn bekommen?«
Ein Anflug von Furcht drang mir tief in die Eingeweide. Einen Augenblick war ich wieder elf und spürte, wie die Finger des ehemaligen Gardisten sich wie Dornen in meinen Arm gruben, wie er mich in die Gasse zerrte, wie er mich an seine Brust drückte. Ich hatte keine Zeit, etwas zu tun, keine Zeit zu schreien.
Hab dich, Kleine , hatte er gehaucht, die Worte ein tiefes Grollen in seiner Brust. Hab dich.
Und dann hatte er gelacht.
Ich schaute in Ericks Augen, und die Furcht schlug in Wut um. »Er war kein Gardist.« Ich deutete auf das rot in Ericks Hemd gestickte Symbol des Geisterthrons. »Die Stickerei war herausgerissen.«
Erick legte die Stirn in Falten. »Also ein Abtrünniger. Hatte er eine Narbe auf einer Wange? Vom Augenwinkel zum Kiefer?«
Ich nickte und zog die Knie ans Kinn, ohne Erick anzuschauen. Ich konnte ihn riechen – den Mann, der mich damals gefangen hatte. Ich konnte den Gestank von Bier wahrnehmen, von Dreck, die Gerüche des Siels und den Pesthauch anderer Dinge. Ich schmeckte den Schimmel seines Hemdes, als er mir eine Hand auf den Hinterkopf legte und mein Gesicht an seine Schulter presste.
Nicht zittern , hatte er gehaucht, die Stimme leise wie Nieselregen. Nicht zittern.
Ich schauderte. Erick kniete sich neben mir in den Schmutz des alten Hofes. Ich spürte, wie er zögerte. Nicht etwa, weil er die Geschichte nicht hören wollte, sondern weil er nicht wusste, ob ich sie noch einmal durchleben wollte.
»Erzähl mir, was geschehen ist.«
Ich kniff die Augen zusammen, unterdrückte ein Schluchzen und legte den Kopf auf die Knie, das Gesicht von Erick abgewandt. So verharrte ich, bis ich Ericks Hand auf der Schulter spürte.
Er versuchte, mich an sich zu ziehen. Erst widersetzte ich mich, dann gab ich nach und lehnte mich an seine Brust, immer noch von ihm abgewandt.
Als ich schließlich sprach, klang meine Stimme erstickt und verzerrt, weil es mich alle Mühe kostete, nicht zu weinen.
»Er hat mich in einer Gasse geschnappt«, sagte ich. »Hat mich an seine Brust gedrückt, sodass ich nicht atmen konnte.«
Mehr brauchte es nicht.
Ich war wieder elf.
Und der ehemalige Gardist hatte mich in seiner Gewalt.
Ich konnte nicht sehen, wohin er mich brachte. Irgendwann wehrte ich mich, aber er drückte mich nur noch fester an sich. Ständig flüsterte er, immerzu grollte es in seiner Brust, während sein Atem in kurzen, erwartungsfreudigen Stößen ging. »Nicht zittern, Kleine. Pssst. Pssst. Ist nicht weit. Nicht mehr weit.« Dann ein leises
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