DIE ASSASSINE
dich nicht mit mir an, Miststück. Ich sah ihn wieder am Ende der Gasse in der Nacht zuvor, den Blick auf die Tür des Hauses vom mehlweißen Mann geheftet, die Augen dunkel, forschend und unversöhnlich. Ich spürte wieder die Klinge von Blutmals Dolch während des Übungskampfes, sah sein selbstzufriedenes Grinsen, als er anschließend von dannen zog.
Ich zögerte. Ich dachte an Erick und daran, wie ich mich gefühlt hatte, als er aufgeschaut hatte, das Knie in Blutmals Rücken, und wie mir damals klar geworden war, dass er Blutmal benutzen wollte. Doch Erick gehörte mir. Ich wollte ihn nicht teilen, wollte ihn nicht verlieren. Erick wusste nicht, wie bösartig Blutmal war, und erkannte den Hass in Blutmals Augen nicht, wenn er mich ansah.
Tomas konnte dieses Problem nun aus der Welt schaffen. Ich brauchte nur wegzugehen. Tomas’ Fährte konnte ich später wieder aufnehmen.
Meine Augen wurden schmal, während ich beobachtete, wie Tomas fester zudrückte und wie seine Hand sich spannte, als er den Griff verlagerte.
Ich hielt den Dolchgriff gepackt und zögerte. Dann ließ ich den Griff los und wandte mich ab.
Blutmal begann mit den Füßen zu treten. Seine Sohlen pochten in unregelmäßigem Takt gegen die glitschige Steinmauer hinter ihm.
Ehe es mir bewusst wurde, hatte ich kehrt gemacht, die zwanzig Schritte überwunden und stand binnen eines Herzschlags hinter Tomas’ Rücken. Er hatte mich nicht gehört, war zu sehr auf Blutmals verzerrtes Gesicht konzentriert, das allmählich rot anlief. Mein Dolch glitt aufwärts in seinen Rücken, tief unten, so wie Erick es mir beigebracht hatte. Es war der für mich einzig mögliche Streich. Tomas war zu groß für mich, als dass ich anseine Kehle herangekommen wäre, und sein Körper war Blutmal zu nahe, um einen wirksamen Treffer von vorn zu landen.
Nachdem ich zugestochen hatte, wich ich jäh zurück. Im Kopf hörte ich Ericks Stimme während meiner Übungsstunden auf den Höfen und in düsteren Räumen jenseits des Siels. So tötest du zwar nicht sofort, aber die Opfer sind dem Untergang geweiht. Sie sind wandelnde Tote und wissen es nicht einmal. Aber in der Regel sind sie stinksauer.
Tomas grunzte. Er hätte keine allzu großen Schmerzen spüren dürfen – bei richtiger Ausführung hätte er gar nicht bemerkt, dass ich ihn gestochen hatte –, aber ich hatte dem Dolch beim Herausziehen absichtlich leicht gedreht, damit er es fühlte. Sein Kopf schnellte zu mir herum. Er knurrte und ließ Blutmal fallen.
Der Gossenjunge rang keuchend nach Luft und sank nach vorn auf die Hände. Dann gaben die Arme unter ihm nach, und er brach zusammen und fiel auf die Brust. Sein Gesicht wurde in den regennassen Schlamm gedrückt, während er tief und rasselnd atmete.
Ich verscheuchte Blutmal aus meinen Gedanken und konzentrierte mich ganz auf Tomas. Er hatte sich mir zugedreht und griff nun mit einer Hand hinter sich, um seinen Rücken zu betasten.
Nass vor Blut und Regen kam sie wieder zum Vorschein.
»Du kleines Miststück«, murmelte er. Wutentbrannt funkelte er mich an, die Augen von einem solchen Hass erfüllt, dass ich unwillkürlich zurückwich. Doch ich versteckte mich nicht, zuckte nicht einmal zusammen. Ich hielt den Dolch vor mir und wartete in kampfbereiter Haltung.
Tomas grinste. »Aber Mut hast du, du kleines Dreckstück.«
Er kam auf mich zu. Plötzlich taumelte er, und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er streckte den Arm aus, um sich mit einer Hand abzustützen, und stolperte noch ein paar Schritte weiter. Dann lehnte er sich zitternd gegen die regennasse Mauer. Sein Atem ging in tiefen, feuchten Stößen. Wasserrann ihm übers Gesicht und tropfte ihm von der Unterlippe und vom Kinn, während er den Blick wieder auf mich richtete.
In seinen Augen lag nun kein Hass mehr. Stattdessen blickten sie erstaunt und verwirrt.
»Was hast du mit mir gemacht?«, keuchte er und schluckte vor Schmerz.
Einen Augenblick stand er noch leicht gebückt da und schwankte, während er das Gleichgewicht zu halten versuchte. Dann sank er auf die Knie und kippte nach vorn auf die Brust, so wie Blutmal, die Arme schlaff an den Seiten. Er landete in dem schlammigen Bach nahe der Gassenmitte. Das stinkende Wasser strömte ihm in den Mund, bildete eine Pfütze und floss dann um seinen Körper herum.
Ich entspannte mich und richtete mich auf.
Blutmal hustete. »Er war mein Opfer«, stieß er mit gebrochener, heiserer Stimme hervor.
Ich blickte auf ihn hinunter,
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