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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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hatte sich mit dem seines getrockneten Schweißes vermischt. Von den Mundwinkeln verlief eine breite Spur Erbrochenes über Kinn und Hals und hatte eine Pfütze an seiner Seite gebildet.
    In seine Stirn war der Geisterthron geschnitten. Brutal und tief.
    Blutmal.
    Langsam ließ ich den Kopf des Söldners sinken und kauerte mich auf die Fersen. Die heiße Wut hatte meine Haut wieder erröten lassen, doch mittlerweile fühlte sie sich trocken und ausgebrannt an. Ich spielte mit dem Gedanken, Erick Bescheid zu geben. Aber inzwischen tötete Blutmal die Opfer jedes Mal – unsere Opfer. Zumindest, wenn er sie als Erster aufspürte. Und Erick tat nichts dagegen und sagte nichts dazu.
    Nicht mehr seit Tomas.
    Der Gedanke bewirkte, dass sich Verbitterung in meine Wut mischte, die gegen Erick gerichtet war.
    Ich stand auf und starrte auf den toten Söldner. Mittlerweile glich er nur noch einem Schatten im Mondlicht. Die Sonne war untergegangen.
    Ich wandte mich ab und hielt wieder auf den Siel zu. Ich war hungrig.

    Ich kauerte mich an den Eingang der Gasse gegenüber der Tür des mehlweißen Mannes und bemerkte sofort das Stoffbüschel, das unter dem Stein hervorlugte, unter dem der Mehlweiße dieBündel mit Speisen versteckte. Ein prickelndes Gefühl durchströmte mich, ähnlich einer Gänsehaut, und ich lächelte, obwohl mir der Magen knurrte. Ich hatte das Leinen vor ein paar Tagen unter den Stein gelegt, aber es war keine Antwort erfolgt. Ich hatte gedacht, dass die Verzweiflung, die mittlerweile jedem auf dem Siel in die Augen geschrieben stand, den mehlweißen Mann letztlich vertrieben hatte – dass er gegangen war und mich einfach vergessen hatte. Dieser Gedanke hatte geschmerzt. Aber der mehlweiße Mann war nicht gegangen, und er hatte mich nicht vergessen.
    Beinahe wäre ich auf den Siel hinausgetreten, um, ohne nachzudenken, das Bündel zu holen, zumal mein Magen sich vor Hunger zusammenkrampfte. Doch im letzten Moment fiel mir Blutmal ein, und ich glaubte, seinen Atem zu spüren.
    Was beobachten wir?
    Ich schauderte, zog mich zurück und ließ den Blick prüfend über die nächsten Gassen und die Dunkelheit wandern.
    Nichts.
    Ich zögerte vor der Welt aus Grau und Rot und Wind, ließ mich dann aber in sie hinunter.
    Ich sah nichts, spürte nichts, roch nichts, bis ich tiefer hinabstieß, als ich je zuvor gewesen war. Dort begann die vereiste Hand gegen meine Brust zu drücken, aber so leicht, dass sie kaum meine Haut berührte – so, als schwebte sie ganz nahe über meinem Brustbein.
    Ich wusste, dass ich noch tiefer vordringen konnte, doch das Grau hatte sich verfestigt, sodass ich in die Schatten sehen und Öllicht – ein helleres Grau – in den Ritzen um die Tür und das Fenster des mehlweißen Mannes flackern sehen konnte: ein Licht, das ich von der Gasse aus nicht gesehen hatte.
    Ich zog mich zurück, bis das Mondlicht den Siel und das Tuchbüschel erhellte.
    Die Hand an meiner Brust verschwand.
    Ich zögerte noch einen Augenblick; dann huschte ich geducktüber den Siel, hielt mich in den Schatten. Ich kauerte mich in die schmale Nische der Tür des mehlweißen Mannes, entfernte den losen Stein, zog das Bündel zu mir und öffnete es.
    Darin waren ein kleiner Laib Brot und ein Stück Käse von der Größe meiner Faust.
    Ich lächelte und stellte fest, dass ich besorgter gewesen war, als ich gedacht hatte. Und hungriger.
    Ich schniefte die Besorgnis fort und ergriff den Brotlaib. Ich wollte gerade hineinbeißen, als die Tür sich öffnete.
    Öllicht flutete auf den Siel heraus, begleitet von einem Schwall Hitze und dem berauschenden, überwältigenden Duft von Mehl, Hefe und Teig.
    Der Duft traf mich wie ein Faustschlag …
    … und plötzlich war ich wieder neun Jahre alt und kauerte in den Schatten einer Gasse, beobachtete, wie ein Mann und eine Frau sich einander näherten, beide tief in Gedanken, die Blicke verschwommen, in ihrer jeweils eigenen grauen Welt. Die Frau hatte glattes, schwarzes Haar, Augen so braun wie die Lehmziegel der Gebäude nach einem Regen und ein Bündel, das zu locker verschnürt war und das sie zu weit vom Körper entfernt hielt. Der Mann trug ein grobes, schlichtes Hemd, die Ärmel über die Unterarme hochgerollt, eine alte Hose und keine Schuhe. Seine Kleider bedeckte weißer Staub … Mehl. Seine Hände und sein Gesicht waren makellos sauber.
    Sie stießen zusammen. In dem kurzen Augenblick, als sie abgelenkt waren, stahl ich zwei der Brötchen, die aus dem Bündel der Frau

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