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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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lächelte verkniffen, nickte und drehte sich um.
    Verspätet erwiderte ich das Nicken. Abwesend dachte ich, dass sie mich an jemanden erinnerte. An die Frau, die der Mann erwürgt hatte? Die Frau mit dem Korb voll Kartoffeln?
    Ich runzelte die Stirn.
    Dann erst kam mir die Erkenntnis. Mari. Mein Opfer.
    Jäh löste ich mich von der Wand, spähte scharf in die Richtung, in die Mari gegangen war. Die Welt ging in Grau und Rot und Wind über, und ich begann die roten Schlieren abzusuchen, um sie zu finden.
    Sie war nicht da.
    Abermals runzelte ich die Stirn und ließ die Welt in ihren gewöhnlichen Zustand zurückkehren. Ich starrte den Siel hinab …
    Und sah sie. Mari hatte vor einem anderen Wagen gehalten; diesmal war es ein Wagen mit Karotten. Sie hielt ein paar davon in der Hand und sprach mit dem Wagenbesitzer.
    Ohne den Blick von ihr abzuwenden, glitt ich langsam wieder unter den Fluss. Alles außer Mari ging in Grau über. Ich lockerte den festen Blick auf Mari … und auch sie wurde grau.
    Ich biss mir auf die Unterlippe.
    Alle meine bisherigen Opfer waren rot gewesen, gefährlich und tödlich. Einige hatten einen Geruch gehabt, doch alle waren letztendlich rot gewesen.
    Mari jedoch war grau und roch nur nach Schweiß und dem Siel.
    Sie beendete ihr Feilschen mit dem Karottenhändler und entfernte sich.
    Ich zögerte, kaute einen Augenblick auf der Unterlippe, dann folgte ich ihr.
    Die Tiefen jenseits des Siels veränderten sich wie damals, als ich dem falkengesichtigen Mann gefolgt war. Allerdings reichte der Verfall nun, fünf Jahre nach dem Feuer, weiter an den Siel selbst heran, wie eine Geißel der Stadt und ihrer Straßen. Lehmziegel gingen in grob behauenen Stein über. Straßen verengten sich zu Gassen, dann zu schmalen Schluchten, gefüllt mit Haufen modernder Abfälle. Schimmel verdichtete sich zu Schleim, Rinnsale wurden zu Schlammbächen. Der Geruch des Siels wurde zum Gestank nach Fäulnis, Verwesung und Ausscheidungen. Das Licht verdunkelte sich, als würde es von den Tiefen des Siels eingesogen, die alles verschluckten, was zögerte oder zu lange verweilte. Bald würde alles nördlich des Flusses verschlungen sein. Ich konnte es sehen, konnte die Geißel der Stadt auf der Haut spüren.
    Mari wurde langsamer. Allmählich ging die Sonne unter. Das Grau der Abenddämmerung sickerte zwischen den Stein. Ich fiel zurück, duckte mich hinter Haufen von Dreck und verfallenem Gemäuer.
    Dann bog Mari durch einen Eingang ohne Tür ab.
    Ich schaute zum Himmel. Das Licht schwand rasch, und die Dunkelheit senkte sich wie ein Tuch herab, erstickend und undurchdringlich. Binnen kürzester Zeit verschlangen die Tiefen des Siels auch das letzte Sonnenlicht. Sterne sprenkelten den Himmel.
    Ich bewegte mich weiter, arbeitete mich zu dem Eingang vor, durch den Mari verschwunden war. Mit aller Aufmerksamkeit starrte ich in die Schwärze.
    Ein leerer Raum, klein, mit drei Türen, die tiefer in die Dunkelheit führten …
    Ich trat ein. Staub bedeckte den Boden, unterbrochen von Spuren, die zur mittleren Tür geradeaus vor mir verliefen. Unter dem Staub zeichnete sich ein Mosaik aus bunten Tonfliesen ab. Die meisten waren gesprungen, ein paar fehlten gänzlich.
    Ich bewegte mich auf die mittlere Tür zu und bemerkte das Flackern von Feuerlicht auf einer Seite durch eine der anderen Türen.
    Neben der zweiten Tür hielt ich inne.
    Mari stand in der Nähe des Feuers in der Mitte des Raumes. Der Kohl und die Karotten lagen auf dem Boden neben ihr. Sie hängte einen Topf über die Flammen. Ihr Gesicht war bereits verschwitzt von der Hitze. Sie kauerte sich hin und begann, die Karotten klein zu schneiden.
    Jemand brummte.
    Mari erstarrte. Der Dolch in ihrer Hand zitterte. Ihre geweiteten Augen funkelten im Feuerschein.
    In der Ecke bewegte sich ein Haufen Decken und wurde beiseite geworfen. Ein Mann stützte sich auf einen Ellbogen. Sein Ohr war verstümmelt wie ein Stück Knorpel, auf dem jemand herumgekaut und das er dann ausgespuckt hatte.
    Schlaftrunken wanderte sein Blick umher, ehe er auf Mari zu ruhen kam.
    Plötzlich wirkte er hellwach. Die Schlaftrunkenheit fiel von ihm ab, wurde zu etwas Schrecklichem, Grausamem.
    »Wo bist du gewesen?«
    Ich wich von der Tür zurück. Schweiß prickelte mir im Nacken. Seine Stimme klang dunkel – leise, flüssig und dunkel.
    Wie die Stimme Blutmals.
    Ich wollte nicht mehr dort sein.
    Ich hörte eine raschelnde Bewegung, holte tief Luft, um mich zu wappnen, und spähte erneut

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