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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Ich war kein neunjähriges Mädchen mehr, das in einer Gasse kauerte, kein Kind mehr.
    Ich spähte auf das Brot hinunter, auf den noch in das Tuch gewickelten Käse. Dann sah ich dem mehlweißen Mann – dem Bäcker – in die Augen. Ich hob das Brot kurz an und sagte mit angespannter Stimme: »Danke.«
    Der Bäcker lächelte und nickte, wobei die Runzeln um seinen Mund und seine Augen deutlicher hervortraten. »Gern geschehen.«
    Ich zögerte, spürte den Schwall der Hitze im Gesicht, nahm den Duft des Brotes wahr. Dann drehte ich mich um und ging davon.
    Ich kehrte zu meinem Unterschlupf zurück, zwängte mich durch die Öffnung, spürte, wie mir die Lehmziegel über den Rücken und die Hüfte schabten wie inzwischen jedes Mal, weil ich gewachsen war. Dann setzte ich mich hin, zog die Knie an die Brust, legte das Bündel des Bäckers neben mich und ließ den Kopf hängen.
    Diesmal weinte ich nicht. Stattdessen seufzte ich tief, hob den Kopf und griff nach dem Brot.

    Ein paar Tage später suchte Erick mich in meinem Unterschlupf auf.
    »Varis?«
    Ich zögerte. Ich wollte nicht mit ihm reden, wollte ihn nicht sehen.
    Aber ich brauchte ihn noch.
    »Ich habe ein weiteres Opfer für euch.«
    Meine Lider wurden schmal. Erick wusste von dem Söldner.
    Ich bewegte mich zum Rand meines Unterschlupfs vor, kroch hinaus ins Sonnenlicht und richtete mich auf.
    Erick stand auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse mit dem Rücken an der Mauer, die Arme vor der Brust verschränkt. Er beobachtete mich aufmerksam.
    »Ich habe am Siel nach dir gesucht«, sagte er. Als ich nichts erwiderte, fügte er hinzu: »Blutmal hat dich dort auch nicht gesehen.«
    Als Blutmals Name fiel, versteifte ich mich. »Ich bin nicht am Siel gewesen.« Es gelang mir nicht, die Wut aus der Stimme zu verbannen.
    Nun zögerte Erick, ehe er vorsichtig fragte: »Warum nicht?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    Erick erstarrte, und der Ausdruck in seinen Augen wurde härter. Seine Hände sanken an den Seiten herab. »Nein. Für mich nicht.«
    Innerlich zuckte ich zusammen.
    »Ich habe ein neues Opfer – eigentlich zwei«, sagte Erick knapp, nun ebenfalls wütend. »Einen Mann und eine Frau, Rec Terrell und Mari Locke. Der Mann ist breitschultrig, bärenstark, kahl. Er hatte links einen Ohrstecker, aber der wurde ihm herausgerissen. Übrig ist nur ein verstümmeltes Ohrläppchen. Die Frau, Mari, hat kurzes schwarzes Haar, ein rundliches Gesicht und breite Hüften. An ihrem Unterarm ist eine Narbe, fast verheilt und nur noch schwach zu erkennen. Jemand hat sie geschnitten. Die Regentin will sie beide.«
    Erick drehte sich um und wollte davongehen.
    »Warte.«
    Er blieb stehen, schaute aber nicht zurück.
    Ich biss mir auf die Unterlippe, dachte an den mehlweißen Mann und überlegte, Erick von ihm zu erzählen. Dann aber dachte ich an Blutmal, an den Söldner, an Erick, der nichts dazu sagte, nichts dagegen unternahm, und die Wut kehrte zurück.
    So fragte ich stattdessen: »Warum?«
    Erick drehte sich ein wenig um, weit genug, dass ich die Verwirrung in seinen Augen sehen konnte. »Was meinst du?«
    Ich wusste es selbst nicht. Warum benutzt du Blutmal immer noch? Warum bist du in der Nacht weggegangen, in der ich Tomas getötet habe? Warum hast du Blutmal triumphieren lassen?
    »Warum tust du das? Warum bist du ein Sucher?«
    Er runzelte die Stirn. »Weil ich etwas davon verstehe. Weil ich dafür ausgebildet wurde. Weil ich das immer schon getan habe.«
    Er zögerte, als wäre er unsicher, ob er meine Frage damit beantwortete hatte, oder als wäre er selbst nicht von seiner Antwort überzeugt. Dann drehte er sich um und ging.
    Es war die falsche Frage gewesen.

    Ich hätte Mari nie entdeckt, hätte sie nicht nach dem Kohl gegriffen.
    Ich stand in der Nähe des Wagens. Die Strömung des Siels zog unbemerkt an mir vorüber. Ich war aus Gewohnheit hergekommen, weil ich sonst nirgendwohin konnte. Ich brauchte kein Essen. In meinem Unterschlupf hatte ich genug für ein paar Tage. Und ich suchte auch nicht nach Rec oder Mari. Sollte Blutmal sie haben. Erick schien es egal zu sein.
    Als die Frau nach dem Kohl griff und ich die blasse Narbe sah, die sich über die Länge ihres Unterarms erstreckte, fielsie mir deshalb nicht besonders auf. Zumindest nicht auf Anhieb.
    Ich schaute zu ihr auf. Rundliches Gesicht. Kurzes, schwarzes Haar. Braune Augen. Ein helleres Braun, als ich es bisher am Siel gesehen hatte, mit gelblichem Einschlag.
    Sie begegnete meinem Blick,

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