DIE ASSASSINE
durch die Tür.
Mari hatte sich wieder den Karotten zugewandt, doch sie führte das Messer nicht mehr ruhig beim Schneiden. »Auf dem Siel«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte.
Rec stand auf.
»Und was hast du da gemacht?«
Sie antwortete nicht.
Er trat hinter sie. Seine Hände fielen auf ihre Schultern, undsie sog scharf die Luft ein und erstarrte. Das Messer hielt sie mit der Spitze nach unten vor sich; in der anderen Hand eine halb durchgeschnittene Karotte.
Sie starrte geradeaus, verängstigt und ausdruckslos zugleich. Ihre aufeinander gepressten Lippen bebten.
Rec beugte sich vor. Eine Hand wanderte an Maris Hals, an ihr kurzes Haar. Seine Finger schlossen sich zu einer Faust und rissen Maris Kopf jäh zurück.
Mari schluchzte auf, und ihre Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen. Tränen schimmerten in ihren Augenwinkeln.
»Was hast du auf dem Siel gemacht?«, flüsterte Rec ihr ins Ohr.
Mari erstickte an den eigenen Worten. Ihr Kopf lag noch immer im Nacken, und ihr Hals lag frei. »Essen …«, brachte sie mühsam hervor. Rec riss abermals heftig an ihrem Haar. »Ich habe uns Essen besorgt …«
Rec lehnte sich zurück, ließ Maris Haar aber nicht los. Er kniete sich hin. Seine freie Hand wanderte von ihrer Schulter den Arm hinunter bis zum Messer.
Ein Ruck durchlief Maris Körper. »Nein«, keuchte sie so leise, dass ich es kaum hören konnte. »Nein. Du hast gesagt: nie wieder «, schluchzte sie und kniff fest die Augen zu. »Nie wieder.« Tränen kullerten ihr über die Wangen.
»Pssst«, flüsterte Rec. Seine Hand schloss sich um die ihre.
»Nein, nein«, hauchte sie und schüttelte den Kopf.
»Pssst. Gib mir das Messer.«
Ich umfasste mit einer Hand meinen Dolch, beugte mich nach vorn und stützte mich mit der freien Hand am Rand des Durchgangs ab. Doch Rec war zu weit entfernt und kehrte mir das Gesicht zu. Er würde mich sehen, sobald ich mich ins Licht bewegte.
Ich beobachtete, wie die Muskeln in Maris Arm – die so verkrampft waren, dass sie wie Taue unter der Haut wirkten – sich entspannten.
Das Messer entglitt ihrem Griff, doch Rec fing es auf.
Mari entfuhr ein leiser Ausruf des Schmerzes, der Verzweiflung, der Schwäche, und ihre Arme sanken herab.
Rec bewegte das Messer zu ihrem Gesicht und ließ die Klinge die Haut ihrer Wange berühren.
Schluchzend holte Mari Luft. Ihre Arme blieben schlaff an den Seiten. Alle Spannung war aus ihrem Körper gewichen. Kraftlos hing sie da, den Kopf im Nacken, der Hals ungeschützt. Nur Recs Körper stützte sie.
»Nächstes Mal«, sagte Rec, fuhr beiläufig mit dem Messer über Maris Wange und zog dabei eine dünne rote Blutlinie, »sagst du mir vorher, wohin du gehst.«
Mari sog die Luft durch die Zähne ein, als das Messer sie schnitt.
Dann stand Rec auf und ließ ihr Haar mit einem jähen Stoß nach vorne los. Das Messer ließ er neben ihr zu Boden fallen. Die Klinge fiel klirrend auf den Stein.
»Was gibt es zum Abendessen?«, fragte er.
Mari verharrte nach vorn gebeugt, die Schultern zuckend, das Gesicht verborgen.
Nach einer Weile legte sich ihr Zittern. Sie setzte sich zurück, die Wangen nass vor Tränen, die aber schon trockneten, und griff nach dem Messer. Mit leerem, nach innen gerichtetem Blick und angespannter Miene säuberte sie die Klinge. »Eintopf«, sagte sie.
Ihre Stimme hatte sich verändert, klang härter.
Rec grunzte. »Dann mach dich mal an die Arbeit«, befahl er und kroch wieder unter die Decken. »Weck mich, wenn du fertig bist.«
Mein Griff um den Dolch verstärkte sich, entspannte sich, verstärkte sich erneut. Dann aber wich ich vom Durchgang zurück.
Ich konnte es nicht mit beiden aufnehmen.
Und Mari war grau.
Ich kauerte mich auf die Fersen, dachte nach.
Ich brauchte Erick, musste mit ihm reden.
Bevor ich zum Nymphenbrunnen aufbrach, schaute ich noch einmal in den Raum. Rec lag in die Decken gewickelt in der gegenüberliegenden Ecke. Mari kniete neben dem Feuer und starrte auf das Messer. Blut und Schweiß tropften ihr vom Kinn.
Erick war nicht da.
Ich schaute zum nächtlichen Himmel hinauf, betrachtete die Sterne. Ich hatte mich beeilt; dennoch war ich anscheinend nicht schnell genug gewesen. Erick war bereits gegangen.
Ich setzte mich an die Gassenmauer, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und starrte auf den Brunnen.
Die Frau mit dem Armstumpf starrte zu mir herüber, umklammerte mit dem heilen Arm die Urne. Wie Erick es vor Wochen getan hatte, musterte ich ihr Gesicht, ihre
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