DIE ASSASSINE
Rolle mehr. Es war geschehen. Mari war tot.
Erick verharrte eine Weile regungslos. Dann näherte er sich zaghaft, ehe er wieder innehielt.
Mit angespannter Stimme sagte er: »Wir müssen sie kennzeichnen.«
Ich spürte, wie der Stein des Hasses sich verhärtete. »Nein. Kennzeichne ihn, aber nicht sie.«
Nach kurzem Zögern ging Erick zu Recs Leiche, hob denKopf des Mannes an und machte drei saubere Schnitte. Dann legte er den Kopf zurück in die klebrige Blutlache, die sich bereits zur Farbe von Rost verdunkelte.
Ich saß derweil neben Mari, hörte noch einmal ihre Schreie, sah sie schaudern, als Rec ihr die Klinge über die Wange zog. Ich sah ihre Augen – ein helles Braun, heller, als ich es je auf dem Siel gesehen hatte, mit gelbem Einschlag. Ich sah, wie diese Augen sich jäh schlossen, als Rec sie aufzuschlitzen begann. Ich hörte ihren Atem zwischen ihren Zähnen zischen.
Sie war grau gewesen.
Ich hätte schneller rennen sollen.
Ich hätte gar nicht erst weggehen sollen, um Erick zu holen.
Erick war inzwischen fertig und hatte sich neben mich gestellt. Er griff nach meiner Schulter, zögerte jedoch, berührte mich nicht ganz, als hätte er Angst davor.
Er ließ den Arm sinken.
Dann stieß die vereiste Hand mir so wuchtig gegen die Brust, dass ich nach Luft schnappte. Das Eis brannte mir über die Schultern und in die Arme, fuhr mir mit schrecklicher Kraft in den Leib.
Im nächsten Augenblick erstickte ich fast am Geruch von Hefe, Teig und Mehl. Der Duft war so durchdringend, dass er alles überlagerte, sogar den Gestank von frischem Blut, von Schweiß, von öligem Rauch.
»OH, IHR GÖTTER«, stieß ich würgend und keuchend hervor und schmeckte Erbrochenes. »Oh, ihr Götter, oh, ihr Götter, oh, ihr Götter …«
Plötzlich begriff ich den Ausdruck in Blutmals Gesicht, als er gegangen war. Hass und Wut, vermischt mit selbstgefälliger Zufriedenheit.
Er wusste, wie er mir wehtun konnte.
»Was ist?«, fragte Erick, die Augen vor Angst geweitet.
Ich wandte mich von ihm ab, kämpfte mich in eine geduckte Haltung hoch und bewegte mich zur Tür, stolpernd unter demGewicht der vereisten Hand, die sich in meine Brust brannte. Scharf sog ich die Luft ein, als ich mit der Schulter gegen den Rand des Durchgangs prallte; dann fasste ich mich und eilte los.
Ich rannte durch den äußeren Raum, den mit den gesprungenen Lehmfliesen, hinaus in die Gassen, in die Tiefen jenseits des Siels, die mich so mühelos verschlungen hatten wie Mari. Ich rannte vorbei an Nischen, über verwaiste Höfe, vorbei an dunklen Türeingängen, klaffenden Fenstern und halb verfallenen Mauern, so schnell, dass Erick mir unmöglich folgen konnte. Ich rannte durch meine Heimat, erhaschte flüchtige Blicke auf die anderen Bewohner des Siels. Das erschrockene Gesicht eines Mannes, dessen Körper nur noch Haut und Knochen war, der vor einem Haufen verrotteten Unrats kauerte … Die Lumpenfrau, die gackerte, als ich an ihr vorbeistürmte; ihr durchdringendes Gelächter hallte durch die Gasse … Der Junge, höchstens sieben, der einen abgebrochenen Löffel wie eine Waffe führte, einen eingedellten Apfel in einer Hand, dessen eine Seite bereits verfault und verschimmelt war. Ich rannte, sog keuchend die kalte Nachtluft ein, während meine Muskeln in den Beinen brannten. Ich rannte zur Tür des mehlweißen Mannes.
Die vereiste Hand strahlte weiter aus, kribbelte nun schon in meinen Fingern. Der Stein des Hasses unter meinem Brustbein wurde härter, größer, bis er mich zu ersticken drohte, als er mir auf die Kehle drückte. Der Geruch von Hefe und von Teig, von Hitze und Mehl stach mir in der Nase und lag auf der Zunge; es schmeckte nach Brot, nach Brötchen, nach Käse …
Dann wurde der Geruch so intensiv, dass mir Speichel im Mund zusammenlief, meine Zunge bedeckte …
Und dann erstarb er.
Stolpernd kam ich zum Stehen und schrie zum Himmel empor. Es war ein schrilles Heulen, das sich tief aus meinem Innern löste. Ein Laut tiefster, elementarster Qual, der mir die Kraft aus den Beinen, den Armen und der Brust saugte.
Keuchend brach ich an der nächsten Mauer zusammen, pralltemit der Schulter dagegen, rutschte die Lehmziegel hinunter, bis ich zusammengekrümmt dalag, die Arme um die Beine geschlungen, das Gesicht auf den Knien. Ich weinte und schluchzte, dass es mir die Brust zerriss, während mein Mund sich mit dem Geschmack von Schleim füllte und das Blut mir pochend durch die Stirn jagte und in den Ohren dröhnte. Ich
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