DIE ASSASSINE
vorbei. Das geht schon zu lange so.«
Um ein Haar hätte ich aufgelacht, hielt mich aber zurück.
Blutmal erstarrte. Als er dann sprach, klang seine Stimme so leise und gefährlich wie die Ericks. »Was willst du damit sagen?«
»Ich will damit sagen«, antwortete Erick bedächtig, »dass ich dir keine weiteren Opfer geben werde.«
Blutmals Augen verengten sich zu Schlitzen. »Das kannst du nicht machen.«
»Geh zurück zum Siel«, knurrte Erick. »Ich hätte dich schon längst zurückschicken sollen. Ich hätte dich gar nicht erst mit an Bord nehmen dürfen. Ich hätte auf Varis hören sollen. Du bist zu gefährlich.«
»Sie waren Opfer! Sie haben es verdient …«
Erick trat einen Schritt vor, doch Blutmal hatte damit gerechnet. Er huschte so schnell los, dass er wie ein Schemen wirkte. An der Tür jedoch hielt er inne und schleuderte Erick einen finsteren Blick zu, voller Hass und Galle. Und noch etwas anderes spiegelte sich in seinen Augen – etwas, das ich nicht verstand.
»Miststück«, spie er mir entgegen.
Dann war er verschwunden.
Erick verharrte regungslos, starrte mich mit einer stummen Entschuldigung in den Augen an. Das Flackern der Hoffnung, das kurz zuvor in mir erwacht war, erstarb; der Stein aus Hass und Wut lag noch immer schwer und drückend unter meinem Brustbein.
Zitternd, die Hand auf ihrer Schulter, kniete ich mich über Mari und blickte ihr in die toten Augen.
»Du hättest ihn nicht gehen lassen sollen«, sagte ich zu Erick. »Du hast gesehen, was er getan hat …«
»Sie waren Opfer …«
»Nein!«, stieß ich hervor. »Rede mir das nicht ein! Hör auf …«
»Sie waren Opfer!« Nun klang seine Stimme hart und unnachgiebig. »Ganz gleich, was du denkst, die Regentin hat gesagt, dass sie Opfer waren!«
Ich holte tief Luft. »Mari war grau«, sagte ich.
Ein Ausdruck der Verwirrung legte sich auf Ericks Gesicht, der nach einem Augenblick in plötzliches Verständnis umschlug, als hätte er mit einem Mal etwas erkannt, das die ganze Zeit zum Greifen nahe gewesen war. Doch ich schenkte ihm keine Beachtung; stattdessen dachte ich daran, was Blutmal gesagt hatte – dass Mari Rec getötet hatte. Ich wusste, dass es stimmte. Bevor ich gegangen war, hatte ich die Absicht in Maris Augen gesehen. Doch ich hatte mich geweigert, es mir einzugestehen.
»Sie war grau «, wiederholte ich. »Sie war kein Opfer.«
»Sie hat ihn getötet«, erwiderte Erick mit fester Stimme. »Du hast Blutmal gehört. Das macht sie zu einem Opfer.«
»Tatsächlich?«, spie ich ihm entgegen. »Wenn das alles ist, was es dazu braucht, bin ich auch ein Opfer.«
Erick runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Sie hat Rec getötet, um sich zu retten«, antwortete ich barsch. »Er hat sie misshandelt. Er hat sie mit dem Messer geschnitten, während ich hier war, bevor ich dich holen ging. Er hat sie geschnitten, weil er es genossen hat.« Ich schüttelte den Kopf. »Mari hat ihn nur deshalb getötet, um sich zu retten, so wie ichden ehemaligen Gardisten und den Mann mit der Würgeschnur getötet habe, um mich zu retten. Oder den fetten Mann, um dich zu retten.«
Erick sog scharf die Luft ein. Angst und Zweifel huschten über seine Züge, doch er kämpfte beides nieder, schüttelte den Kopf und sagte mit angespannter Stimme: »Es war Blutmals Entscheidung, so wie deine Opfer deine Entscheidung waren. Er hat sie getötet, so wie du Garrell getötet hast.«
Ich zuckte zusammen, als ich noch einmal spürte, wie der Dolch in Garrells Brust glitt. »Nein«, entgegnete ich mit leiser Stimme. »Nein, das ist nicht dasselbe. Ich habe Garrell getötet . Blutmal hat Mari ermordet .«
Erick blickte auf Maris Leichnam, sagte jedoch nichts. Die Angst schwelte hinter seinen Augen; sie war zurückgedrängt, aber nicht verschwunden.
Er wusste, dass ich die Wahrheit sprach. Aber wenn er es zugäbe, hätte die Regentin unrecht. Dann hätte der Geisterthron unrecht. Und dann stünde alles in Zweifel, woran er geglaubt hatte, alles, in das er Vertrauen gehabt hatte. Obwohl die Stadt seit dem Feuer langsam starb und die Regentin unfähig schien, etwas zu unternehmen, um sie zu retten. Im Gegenteil – was die Regentin tat, schien alles nur schlimmer zu machen. Ich wusste, dass der Siel starb. Ich sah es jeden Tag. Ich erlebte es und sah, was es Menschen wie Mari und mir antat.
»Du hättest Blutmal nicht gehen lassen sollen«, wiederholte ich. Dann schaute ich auf Mari und beachtete Erick nicht weiter. Es spielte keine
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