DIE ASSASSINE
hervortraten. Ihre Schulter hob sich einen Zoll. Ihr Arm begann zu zittern …
Dann brach sie zusammen, stieß den Atem in einem abgehackten, hoffnungslosen Schluchzen aus. Bebend lag sie da und weinte; Speichel und Blut quollen ihr aus dem Mund. Noch einmal atmete sie ein und öffnete die Augen, starrte mich unverwandt an, schien noch einmal Kräfte zu sammeln, der Blick entschlossen, die Handflächen flach auf dem Steinboden vor ihr.
Dann starb sie.
S ECHSTES K APITEL
E inen Augenblick herrschte lastende Stille im Raum.
»Sie war kein Opfer.«
Ich sagte es mit Nachdruck und schaute Erick an. Dicht unter meinem Brustbein bildete sich ein faustgroßer Stein: Hass und Wut, die sich verfestigten. Ich schmeckte meinen Zorn dick, flüssig und säuerlich im Mund.
Ich straffte an der Tür die Schultern und betrat den Raum.
»Sie war kein Opfer «, wiederholte ich lauter, kniete mich neben Mari und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Den Blick ließ ich dabei auf Erick gerichtet. »Sie hat das nicht verdient!«
»Was meinst du damit – sie war kein Opfer?«, spie Blutmal hervor. Sein Atem ging in abgehackten Stößen, doch tief und kraftvoll.
»Ich meine, dass sie das nicht verdient hat! Dass es ein Irrtum war!«
Blutmal schnaubte verächtlich und wandte sich Erick zu. »Das ist doch die Frau, auf die du uns angesetzt hast, oder?«
Erick löste den Blick von mir und schaute auf die Frau hinunter. Lange Zeit betrachtete er sie; dann erwiderte er: »Ja.«
»Dann hat sie es verdient«, sagte Blutmal. Sein Atem hatte sich beruhigt, war nicht mehr so heftig, so erregt. Er wischte das Blut von seiner Klinge. »Außerdem«, fügte er hinzu, »war sie es, die den Mann getötet hat. Sie ist mir zuvorgekommen, die Schlampe.«
Ich schleuderte Blutmal einen vernichtenden Blick zu.
»Halt’s Maul!«, herrschte ich ihn mit wilder Stimme an.
Er funkelte mich an, wechselte die Haltung. Seine Augen versprühten Hass.
»Was denn? Glaubst du mir etwa nicht?« Er lachte freudlos. Sein Blick war dunkel und bereitete mir Unbehagen.
»Oh ja, sie hat ihn getötet«, sagte er. »Ich habe sie dabei beobachtet. Sie ist vom Feuer herübergegangen und stand über ihm, während er schlief. Hätte ich gewusst, was sie vorhat, hätte ich sie vielleicht davon abgehalten, um mir das Opfer selbst zu sichern.« Er lächelte; es war ein träges Lächeln, so wie bei Garrell, als er auf das Mädchen gestarrt hatte, das mit dem grünen Tuch spielte. »Sie stand lange über ihm, das Messer in der Hand. Sie drehte es zwischen den Fingern, während sie es an der Seite hielt. Dann hat sie sich hingekniet und es ihm in die Kehle gestochen.«
»Halt’s Maul«, wiederholte ich, diesmal jedoch mit weniger Kraft. Ich sah Mari vor mir in jenem letzten Augenblick, ehe ich gegangen war. Ich sah, wie sie vor dem Feuer kauerte und auf das Messer starrte.
Ihre Stimme hatte sich verändert, nachdem Rec ihr mit der Klinge über die Wange geschnitten hatte. Ihre Stimme war härter geworden. Genau wie der Ausdruck ihrer Augen.
»Ich habe es gesehen«, bekräftigte Blutmal und lächelte breit. »Ich habe sie dabei beobachtet.«
»Sei still«, forderte Erick ihn mit tonloser Stimme auf.
Blutmal zuckte zusammen und warf einen Blick in seine Richtung.
Erick hatte sich bewegt, während wir gesprochen hatten, so unmerklich, dass ich es gar nicht bemerkt hatte. Nun kauerte er da und musterte Blutmal mit wachsamem Blick.
»Du hast es beobachtet«, sagte er leise, und in seiner Stimme lag eine tödliche Drohung. »Warum?«
Blutmal legte die Stirn in Falten. »Wie meinst du das?«
»Warum hast du sie nicht aufgehalten? Warum hast du nicht gehandelt?«
»Weil ich nicht wusste, dass sie diesen Kerl abstechen wollte. Außerdem war er ein Opfer. Er hat es verdient.«
»Woher weißt du das?«
Blutmal grinste wieder. »Weil du uns auf ihn angesetzt hast.«
Ein Ausdruck der Betroffenheit huschte über Ericks Gesicht, aber nur einen Lidschlag lang, dann war er verschwunden.
»Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich denke, du hast sie beobachtet, weil du es genossen hast. Ich denke, du genießt das alles viel zu sehr.«
Ich richtete mich im Knien neben Mari auf. Hoffnung flammte in mir auf.
Ericks Augen wurden schmal, als er Blutmal musterte. Ich konnte förmlich sehen, wie er nachdachte, konnte es in seinen Augen lesen, erkannte es am Zucken seiner Kiefermuskeln, als er die Zähne zusammenbiss.
Dann schüttelte er abermals den Kopf. »Nein. Es ist
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