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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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ich mich: als wäre mir nachgestellt worden.
    Plötzlich empfand ich das Brot, das Fleisch und die Butter als schwer und sauer im Mund. Mir wurde übel. Die Luft in der Schänke erschien mir mit einem Mal zu dick, beinahe erstickend. Die Geräusche und Bewegungen der Leute brandeten wieder heran wie eine Flutwelle, wie schon beim Betreten des Raumes.
    Mit einem fiebrigen Gefühl trat ich vom Tisch zurück. »Ich weiß nicht …« Ich machte einen weiteren Schritt. Mich überkam das Verlangen, von hier zu verschwinden; es kribbelte mir in den Armen, obwohl kein warnendes Feuer in mir aufflammte und sich kein Anzeichen von Gefahr abzeichnete.
    Auch Borund erhob sich jäh und runzelte die Stirn, eine Hand ausgestreckt, als wollte er mich festhalten, ehe ich flüchten könnte. Er schien widersprechen zu wollen, dann aber hielt er inne und ließ die Hand zurück auf den Tisch fallen.
    »Vielleicht war es ein Fehler«, meinte er.
    Der Druck des Raumes wurde zu groß für mich, der Lärm und die Gerüche zu stechend.
    Ich drehte mich um, zauderte … und huschte dann durch die Menge zur Tür und hinaus in die eben erst hereingebrochene Nacht.

    Nachdem ich die erstickende Enge der Schänke verlassen hatte und an der klaren Nachtluft war, begab ich mich rasch zu meinem Unterschlupf, vorbei an Leuten, denen ich auswich, ohne sie richtig wahrzunehmen. Mein Kopf war völlig leer. Ich fühlte nur das Gewicht des Essens in meinem Magen, schmeckte eine seltsame Furcht, versetzt mit einer Übelkeit erregenden Aufregung – und allem haftete der Geschmack von Butter an, glatt und weich in meinem Mund …
    Ich stolperte über ein Stück Seil, das an einer Krabbenfalle befestigt war, und fing mich an einer Mauer ab. Mein Herzschlug so heftig, dass es unter dem Brustbein schmerzte. Ich hustete rau; dann richtete ich mich auf.
    Nach einem tiefen Atemzug lehnte ich den Kopf gegen die Steinmauer hinter mir.
    Immer noch konnte ich Orangen riechen.
    Ich holte noch ein paar Mal Luft, hustete halbherzig und sank in eine kauernde Haltung, wobei ich das Gewicht auf die Fersen verlagerte. Auf der Straße vor mir bewegten sich ein paar Leute. Einige verlangsamten die Schritte, beobachteten mich argwöhnisch, doch niemand näherte sich mir.
    Ich schloss die Augen. In der Dunkelheit dachte ich daran, wie William mich am Arm gepackt hatte, spürte das schlagartige Aufflammen von Angst, Verzweiflung und der Furcht, es könnte ein weiterer Vergewaltiger sein wie der erste Mann, den ich getötet hatte … oder jemand wie Blutmal.
    Aber William war kein solcher Mann. Ich konnte es in seinen Augen erkennen, an seiner verwirrten Miene ablesen. Ich konnte es daran erkennen, wie er die Hand ausgestreckt hatte, um mich davon abzuhalten, ein zweites Mal anzugreifen. Und an seinem Lächeln.
    Unbehaglich rührte ich mich, spürte wieder dieses zittrige Gefühl tief in mir, warm und angespannt zugleich.
    Ich kämpfte es nieder, dachte stattdessen an Borund und daran, wie er mir das Essen angeboten hatte. Anfangs hatte er wachsam und zurückhaltend gewirkt; dann aber hatte er sich entspannt, hatte gelächelt und Butter auf die Brotscheibe geschmiert. Es war nicht das hässliche, träge Lächeln von Garrell Karren gewesen, ehe er das blonde Mädchen im Siel getötet hatte. Nein, Borunds Lächeln war belustigt gewesen, als er mich beim ersten unsicheren Biss beobachtet und mir dabei zugesehen hatte, wie ich mir selbst Butter auf die zweite Scheibe schmierte.
    Aber er hatte mich auch verfolgen, beobachten, mir nachstellen lassen. So wie ich vermutete, dass mir der ehemalige, vonmir getötete Gardist nachgestellt hatte. Oder wie Garrell Karren raubtierhaft das blonde Mädchen mit dem grünen Tuch beobachtet hatte.
    Argwohn nistete sich in meinem Innern ein, verschlimmert durch Williams verwirrte Miene und Borunds Lächeln.
    Und durch die Orangen.
    Erick hatte mir Orangen gegeben. Ihm hatte ich vertraut. Ich vertraute ihm immer noch, obwohl ich fühlte, dass ich ihn irgendwie verraten hatte, als ich Blutmal besiegte und tötete. Obwohl jenes letzte Bild von ihm – das Bild am Rand des Nymphenbrunnens, ehe wir Mari fanden – ein vermischtes Grau und Rot gewesen war. Ich wusste immer noch nicht genau, was es bedeutete, und dennoch vertraute ich ihm.
    Ich drückte die Lider noch fester zusammen, spürte Tränen in den Augen brennen.
    Plötzlich wünschte ich mir Erick zurück, dort am Rande des Nymphenbrunnens, auf mich wartend. Ich wollte sein hartes Gesicht sehen,

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