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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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seine dunklen Augen, seine Narben. Selbst wenn es bedeutete, dass er mich in dem Moment, in dem er mich sah, aus seinen Diensten entlassen würde. Selbst wenn er mich verstieße.
    Aber ich konnte Erick ohnehin nicht zurückbekommen. Ich hatte meine Entscheidung getroffen.
    Ich öffnete die Augen und wischte unwirsch darüber. Dann funkelte ich einen Mann an, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen geblieben war und mich anstarrte.
    Rasch wandte er sich ab und ging weiter.
    Ich schaute mich um, tauchte kurz in den Fluss, erblickte jedoch kein Rot.
    Ich stand auf und begab mich zu meinem Unterschlupf.

    Sonnenlicht gleißte auf den rollenden Wellen des Hafens und zwang mich, die Augen zusammenzukneifen und eine Hand zu heben, um sie vor der Grelle zu schützen. Am Ende des Docks knarrte ein Schiff mit drei Masten unter seiner Vertäuung, während Arbeiter – sowohl Zorelli als auch Männer aus Amenkor – Kisten und Fässer die Rampe hinunter auf das Dock hievten. Es war der übliche Wirrwarr, der mich für gewöhnlich mit einer eigenartig kribbelnden Erregung in seinen Bann schlug. An diesem Tag jedoch war es für mich nicht von Belang. An diesem Tag galt meine Aufmerksamkeit allein William und Borund.
    Beide standen am Ende der Planke, die auf das Deck des Schiffes führte. Borund trug wieder die rote Jacke. William stand etwas hinter ihm, seitlich versetzt; er war mit einem weißen Rüschenhemd und einer braunen Hose bekleidet, die er in die Stiefel gesteckt hatte. Beide blickten nachdenklich drein, als der Kapitän des Schiffes zu ihnen redete. Wegen der Entfernung bekam ich nur ein paar Fetzen der Unterhaltung mit, doch nichts davon ergab einen Sinn für mich. Näher aber konnte ich nicht heran, ohne mich zu verraten. Ich war eh schon nicht gut versteckt.
    Borunds Erstaunen wich bald darauf einer verkniffenen Miene, und er drehte sich zur Seite, blickte aufs Meer hinaus, in Richtung der beiden gebirgigen Landvorsprünge westlich der Stadt, die sich einander entgegenkrümmten und so einen schmalen Einlass in den Hafen bildeten.
    Der Kapitän des Schiffes beendete seine Ausführungen, und selbst durch das Chaos und den Lärm des Entladens konnte ich spüren, wie sich Stille zwischen den drei Männern ausbreitete. Die Finger des Kapitäns kneteten unruhig die Krempe seines Hutes, den er sich unter einen Arm geklemmt hatte, während er Borunds Gesicht beobachtete.
    Schließlich seufzte Borund und wandte den Blick vom Meer ab. Er zwang sich zu einem Lächeln, packte den Arm des Kapitäns am Ellbogen, drückte ihn kurz und sagte ein paar Worte.Dann nickten die beiden Männer einander zu, und der Kapitän setzte den Hut auf, während Borund und William sich abwandten.
    Ich zog mich hinter den Kistenstapel zurück und wartete, atmete die salzige Luft und blickte zum blauen Himmel, lauschte dem geschäftigen, nur wenige Schritte entfernten Treiben auf dem Kai.
    Nachdem William und Borund an mir vorüber waren, harrte ich aus, bis sie zwanzig Schritte weiter waren; dann huschte ich in den Strom der Menschen am Kai hinter ihnen, nah genug, um zu hören, was sie sagten, aber weit genug zurück, um nicht von ihnen bemerkt zu werden. Schon die ganze letzte Woche war ich ihnen gefolgt, wann immer es mir gelungen war, sie am Kai aufzuspüren.
    »… wird schlimmer«, sagte Borund. Der verkniffene Ausdruck, den ich am Dock bei ihm gesehen hatte, war wieder erschienen. »Mateo meint, es sei um alle Häfen so schlecht bestellt wie um unseren. Er findet kaum noch genug, um Handel zu treiben und sein Schiff instand halten zu können. Wenn die Geschäfte nicht bald besser laufen, wird er es versenken oder verkaufen müssen.«
    »Vielleicht könntet Ihr es ihm abkaufen«, schlug William vor. »Und ihn als Kapitän behalten.«
    Borund grunzte. »Nur wenn wir mehr Handel in die Stadt bekommen. Wir mussten so schon auf unsere Rücklagen zugreifen. Es gibt einfach nirgendwo etwas. Im Norden ist es zu trocken, im Süden zu feucht. Und ich weiß nicht, was mit den Gewürz- und Seidenrouten durch Kandish los ist. Das ganze Land scheint verschwunden zu sein. Avrell hat gegenüber der Gilde geäußert, dass die letzten drei Monate nichts durch die Berge gekommen sei – keine Gesandten aus Kandish, keine Karawanen. Er hat nicht einmal etwas von seinen eigenen Botschaftern gehört, und du weißt, wie verbreitet sein Netzwerk ist.«
    Er sah William an. »Etwas geht vor sich, hier an der frigeanischenKüste und auf der anderen Seite

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