Die Assassinen-Prinzessin (German Edition)
war, dass sein Freund Selomas für den Versuch, ihn zu beschützen, mit dem Leben bezahlt hatte. Den Anblick des toten Hauptmannes würde er niemals wieder in seinem ganzen Leben vergessen: den abgetrennten Arm … das aus der Brust ragende Schwert … die immer größer werdende Blutlache … und das schmerzverzerrte Gesicht. Der junge Fürst hatte lange um seinen Lehrmeister geweint, nachdem er in dieser kahlen Zelle zu sich gekommen war. Doch mittlerweile waren nicht nur seine Tränen vertrocknet, sondern auch sein Herz war versteinert. Jetzt war alles, woran Tarsin noch denken konnte, Rache für seinen ermordeten Freund zu nehmen. Er würde früher oder später irgendwie aus dieser Zelle entkommen und dann würde sein unbekannter Entführer für jene brutale Tat bezahlen.
Während er auf dem kleinen Bett auf der gegenüberliegenden Seite der Tür lag und einfach nur gegen die Wand starrte, schmiedete er seine Rachepläne. Dass irgendwann die Luke in der Zellentür aufging, bemerkte er im ersten Moment überhaupt nicht. Die weibliche Stimme, die kurz darauf zu ihm sprach, registrierte und erkannte er hingegen sofort.
"Mache dir keine Sorgen, Tarsin!", sprach die Frau hastig und eindeutig an ihn gewandt. "Ich werde dich da rausholen. Du musst nur ein wenig Geduld haben!"
"Schwesterchen?", fragte der junge Fürst überrascht und drehte sich sofort zu der Tür um.
Im nächsten Augenblick fiel die Luke jedoch wieder zu und reduzierte sämtliche Geräusche von draußen zu einem unverständlichen Gemurmel.
"Das kann nicht sein, Tarsin. Du hast Halluzinationen", redete sich der Junge kopfschüttelnd ein. "Was sollte deine große Schwester an diesem verlassenen Ort machen? Sie weiß doch noch viel weniger als du, wer dich entführt hat und wohin du gebracht worden bist."
Nein, ich darf nicht darauf warten, dass mein Schwesterchen mich hier herausholt. Ich muss mir selbst helfen!
, dachte er im Anschluss lautlos weiter.
Laut mit sich selbst zu sprechen, lag für seine Begriffe zu nahe bei dem, was er unter Wahnsinn verstand. Und er konnte es sich nicht leisten, wahnsinnig zu werden – nicht, wenn er diese Zelle verlassen und seinen Freund Selomas rächen wollte.
Denke nach, Tarsin, denke nach!
, forderte er sich selbst auf.
Du musst irgendetwas wissen oder können, dass dir hier drinnen weiterhilft. Warum hat mir nie jemand beigebracht, wie man Schlösser knackt?
Viele der Jungen, mit denen er manchmal auf Burg Falkenau spielte, behaupteten oft, diese Fähigkeit zu besitzen. Aber keiner von ihnen hatte ihm diese Kunst jemals beibringen wollen.
Das hilft dir nicht weiter. Überlege dir etwas anderes!
Tarsin stand auf und lief mehrfach die Wände der kleinen Kammer ab, da er beim Gehen schon immer besser hatte denken können. Doch ihm wollte einfach nichts einfallen, dass ihm bei seiner Flucht helfen könnte. Aus purer Verzweiflung untersuchte er schließlich jede einzelne der vier Wände und sogar die Tür ausführlich, was ihn allerdings auch nicht im Geringsten weiterbrachte. Lediglich Zeit verging dadurch eine ganze Menge.
Bitte komm und rette mich, Schwesterchen! Irgendjemand: Bitte helft mir!
Mit diesen Gedanken der Resignation ließ sich der Junge zurück auf das Bett fallen und bettete seinen Kopf in seine Hände.
Nur wenige Herzschläge später ließ ihn das Öffnen des Zellentürriegels hochschrecken. Nachdem sich die schwere Holztür geöffnet hatte, betrat ein fettleibiger Mann mit Halbglatze den Raum.
"Seid mir gegrüßt, junger Fürst von Falkenau!", sprach dieser sogleich. "Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich bis jetzt keine Zeit hatte, Euch persönlich in meinem bescheidenen Heim zu begrüßen. Dieses Versäumnis möchte ich hiermit nachholen und ich hoffe, dass Ihr meine Gastfreundschaft bis jetzt genießen konntet."
"Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?", fragte Tarsin feindselig.
"Ihr dürft mich Karlef nennen und von Euch persönlich will ich eigentlich überhaupt nichts."
"Weshalb bin ich dann hier?"
"Sagen wir es einmal so: Ihr seid hier, damit ich das bekomme, was ich will."
"Was meint Ihr damit?"
"Das braucht Ihr nicht zu wissen. Alles, was Ihr wissen müsst, ist, dass Euch nichts geschehen wird, solange Ihr kooperiert und das tut, was man Euch sagt. Habt Ihr das verstanden?"
Anstelle von einer Antwort stürmte Tarsin nach vorne, ließ sich auf den Boden fallen und krabbelte zwischen den Beinen des fetten Mannes hindurch. Dabei unterschätzte er allerding die
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