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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mit ihm diese unerhörte Entdeckung teilen zu können. Ich betrachtete noch einmal die eigentümliche braune Landschaft, nun aber mit anderen Augen als vorher. Etwas Beunruhigendes lag in ihr, etwas, was ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Sie erinnerte – ja, womit konnte man sie eigentlich vergleichen? Auf einmal wußte ich es: Die ganze Gegend sah unwirklich, unnatürlich, wie eine riesige Theaterdekoration aus. Und das war es, was mich beunruhigte: die ungeheuren Ausmaße dieser starren, toten Landschaft, diese Hunderte Quadratkilometer von Bakelit, oder was es sonst sein mochte – irgendeine künstliche, plastische Masse, die auf der Erde als Material für Telefone und Füllfederhalter dient! In dieser Vorstellung lag etwas Groteskes und zugleich Unheimliches.
    Ich stand noch immer bei dem Flugzeug und wußte nicht, was ich tun sollte. Dann ging ich einige Dutzend Schritte auf den Toten Wald zu und – lief rasch wieder zurück, ohne jeden Grund; denn ich hatte ja im Skaphander ein Radiogerät, so daß ich die Signale der Rakete, falls sie sich melden sollte, hören konnte ... aber ... ich lief dennoch zurück. Es war nicht einmal Furcht, was mich dazu veranlaßte, sondern das Gefühl der Fremdheit, das mich plötzlich mit aller Macht gepackt hatte. Fremd war dieser tief herabhängende, weiße Himmel, der trotz Wolken einen ungeheuer starken Glanz ausstrahlte, fremd die Stille der Luft, fremd die flachgebuckelte Ebene, auf deren Boden die Stiefeltritte ein sonderbar trockenes, hartes Poltern hervorriefen ...
    Ich setzte mich auf die Tragfläche. Ich drehte das Messer in der Hand hin und her und blickte zu dem nahen Rand der Ebene hinüber, die vor dem Toten Wald so jäh endete. Ich überlegte. Wenn es mir in den nächsten achtundzwanzig Stunden nicht gelingt, mich mit meinen Gefährten wieder zu vereinigen, so hatte ich keine Luft mehr zum Atmen. – Gut, wenn es soweit ist, dann kann ich noch immer darüber nachdenken, was zu tun ist. Vorderhand besitze ich noch Sauerstoff, Lebensmittel und das Flugzeug. Was soll ich also tun? Das, was meine Pflicht ist: die Bodenverhältnisse untersuchen. Was aber dann, wenn die Rakete erscheint, und ich befinde mich gerade weit entfernt vom Flugzeug? Bevor ich es erreiche, verschwindet sie sicher wieder in den Wolken und mit ihr womöglich die letzte Aussicht auf Rettung. Soll ich also auf der Tragfläche des Flugzeuges sitzen bleiben und auf »Erlösung« warten? Mein Chef im Zentralen Luftfahrtdienst hatte eine Lieblingsfrage, die er gewöhnlich den Neulingen stellte: Was hat ein Pilot zu tun, falls er zur Notlandung in einer Einöde oder in den Bergen gezwungen ist? – Alles, was nur irgend möglich ist, mußte die Antwort lauten. – Und wenn das nicht genügt? – Dann das, was unmöglich ist! – Mag sein, daß dies etwas grobschlächtig und naiv klingt; aber einer seiner Kollegen, der mit seinem Postflugzeug Bruch gemacht hatte, entging dem Flugsand der Wüste nach einem fünftägigen Marsch, während dessen er auch nicht einen Tropfen Wasser im Mund hatte. Als er nachher gefragt wurde, woran er auf diesem Marsch gedacht habe, zitierte er das, was unser Chef gesagt hatte. – Ich erinnerte mich zur rechten Zeit daran.
    Man mußte verschiedene Faktoren in Erwägung ziehen ... am wichtigsten war wohl die Annahme, daß der Planet bewohnt sei. War es nicht eine riesige Leichtfertigkeit, das Flugzeug unbewacht zurückzulassen? Selbstverständlich war es das; aber was blieb mir übrig? Ich kletterte noch einmal auf die Tragfläche, nahm den kleinen Strahlenwerfer aus der Kabine und hängte ihn mir über die Schulter. Dann schritt ich von neuem auf den Waldrand zu.
    Nach einer Weile war ich angelangt. Unter mir ragte der Tote Wald auf, dessen Wipfel an einigen Stellen bis zu mir heraufreichten. Mein Blick irrte über Büsche mit langen, schimmernden Ruten, kegelförmige Stalagmiten, halbdurchsichtigeMassen, die wie flachgedrückte Knäuel von Schlangen aussahen, und über klobige, von Dornen starrende Säulen, die riesige Korallen oder Polypen ähnelten. Sie wirkten wie geschnitzte Gewächse oder wie Eisblumen, die der Frost an die Fensterscheiben malt. Der seltsame Eindruck wurde noch durch alle Farben des Regenbogens verstärkt, die die Luftbrechung in den Wipfeln hervorzauberten. Es war, als schaute man über ein funkelndes, wogendes Meer. Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß die »Bäume« gar nicht chaotisch durcheinandergewürfelt dastanden. An manchen Stellen konnte

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