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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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zwischen Arsenjew und Soltyk. Nachdem sie hinter der Biegung verschwunden waren, hörte ich auch ihre Stimmen nicht mehr.
    Die Felsnadel war nicht sehr spitz. Wenn man die Beine in den Abgrund hängen ließ, konnte man bequem dort oben sitzen. Ich blickte durch den Feldstecher. Über der Kluft, die sich deutlich im runden Gesichtsfeld abzeichnete, erhoben sich zwei Gipfel. Sie waren in dünnen, bleigrauen Nebel gehüllt, der die feinen Konturen, die Einzelheiten der Felsbildung verwischte. Ich entdeckte aber einen Felsgrat, der von den Geröllhalden aus anstieg und bis zum Hauptmassiv heranführte. Auf einmal schien es mir, als sei eine weiße Wolke, die eben über einen der beiden Gipfel hinwegzog, plötzlich verschwunden. Das konnte nur bedeuten, daß zwischen uns und diesem Gipfel noch ein Tal lag. Ich beobachtete die Gegend sehr aufmerksam und gründlich, vermochte aber nichts festzustellen, was meine Zweifel zerstreut hätte. Die anderen sollten jedoch nichts davon erfahren. Bald darauf kamen wieder ihre Stimmen aus dem Kopfhörer.
    »Na, wie ist das Wasser?« fragte ich und steckte den Feldstecherin das Futteral. Dann schlang ich das doppelt zusammengelegte Seil um einen Felsvorsprung.
    »Das ist eher eine Formalinlösung als Wasser«, antwortete Arsenjew.«
    Es war ein sonderbarer Gegensatz: Die Gefährten, die sich dem Fuß der Felsnadel näherten, wirkten aus dieser Höhe wie großköpfige, graue Ameisen; und dennoch hörte ich sie laut und deutlich reden.
    Ich stieß mich kräftig mit den Füßen ab und glitt rasch an dem Seil nach unten. Einige Sekunden später befand ich mich wieder bei meinen Gefährten. Ich zog am Ende des Seils, das in losen Windungen herabfiel.
    »Ich hoffe, daß Sie für uns einen nicht ganz so luftigen Weg ausgesucht haben«, meinte Rainer und sah etwas mißtrauisch zu, wie ich das Seil über die Schulter wickelte. Ich vermutete wohl nicht mit Unrecht, daß er sich vor solch einer Kletterei fürchtete; denn er war von uns allen am wenigsten mit den Bergen vertraut.
    »Der Weg ist ausgezeichnet«, beruhigte ich ihn und entwickelte meinen Plan. »Zuerst an der Grenze des Magnetitstreifens entlang über das Geröllfeld bis an die Wand, dann eine kleine Traversierung nach links, und von da an steigen wir weiter über den Kamm auf. Ich glaube, an der einen Stelle ist ein Spalt ... entweder überqueren wir ihn, oder wir umgehen ihn.«
    »Wieso entweder – oder?« wollte Rainer wissen. »Ist es vielleicht näher, wenn wir ihn überqueren?«
    »Auf alle Fälle gelangen wir so schneller zum Gipfel; es ist der kürzeste Weg.« Wir brachen auf. Die Felsblöcke vor uns waren derartig zersplittert, zerrissen und steil, daß wir oft auf allen vieren darüber hinwegklettern mußten. Dahinter aber lagen lange, rauhe, holperige Platten, auf denen wir leidlich vorwärts kamen.
    »Eines verstehe ich nicht«, sagte ich zu Arsenjew, der neben mir ging. »Warum vergrößerte sich die Stromspannung im Rohr gerade von dem Augenblick unserer Landung an? War das wirklich nur Zufall?«
    »Warum nicht? Das Rohr ist wahrscheinlich ein Teil eines großen energetischen Netzes, in dem in gewissen Zeitabständen ungeheure Ströme fließen. Dieser Vorgang beginnt miteinem langsamen Anwachsen der Spannung – denken Sie an den Ton des Echos, der uns an Röhren unter Strom erinnert hat. Dann folgen immer stärkere Wellen – Sie haben das Dröhnen unter der Kugel gehört –, bis schließlich die Kraftspitze erreicht ist. Die Erscheinung kann sich innerhalb einiger Stunden oder auch einmal am Tage wiederholen.«
    »Die Felstrümmer an der Stelle, wo wir landeten, sind also schon vorher durch Stromstöße auf die eine Seite geschleudert worden, nicht wahr?« »Natürlich.«
    Wir verstummten; denn der Hang wurde immer steiler. Unter unseren Schritten knirschte der nackte Fels. Wir näherten uns dem Kamm des Gebirgswalles, der den Talkessel umgab. Ich drehte mich um und schaute noch einmal in die Tiefe. Tot und öde lag der felsige Hintergrund da, zusammengeflossen mit dem dunklen Wasser des Sees. Träge zogen die Wolken darüber hin. Die weiße Kugel war zu einem kleinen Punkt geworden, den man zwischen dem grauen Gestein kaum noch erkennen konnte. Ich fuhr zusammen. Jemand hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt. Es war Arsenjew. So wie ich blickte auch er zu dem Ort unserer Niederlage hinüber. Wir schwiegen. Das Blut hämmerte in den Schläfen. Aus den Kanten und Schürfen der Felsklüfte drang das gedämpfte

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