Die Attentaeterin
mich.
»Dann hättest du ihn besser nicht mitgebracht .«
»Ach, was spielt das jetzt noch für eine Rolle …«, schimpft er entnervt.
Von Issam erfahre ich nicht viel Neues. Es ist offenkundig, dass sein Großvater ihn in die Mangel genommen hat, bevor er ihn mir vorstellte. Ihm zufolge ist Sihem allein gekommen. Sie verlangte nach Papier und einem Stift, und Issam riss ein Blatt aus seinem Schulheft. Als Sihem mit Schreiben fertig war, gab sie ihm einen Brief und bat ihn, damit zur Post zu gehen, was er dann auch getan hat. Beim Verlassen des Hauses fiel ihm an der Straßenecke ein Mann auf. Wie der aussah, daran erinnert er sich nicht mehr, aber es war jedenfalls keiner aus dem Viertel. Als er von der Post zurückkam, war Sihem nicht mehr da und der Fremde verschwunden.
»Warst du allein zu Hause ?«
»Ja. Großmutter war bei meiner Tante in En Kerem. Großvater war in der Moschee. Ich habe das Haus gehütet und dabei meine Schularbeiten gemacht .«
»Kanntest du Sihem ?«
»Ich hatte mal ein paar Fotos von ihr in Adels Album gesehen .«
»Und hast du sie gleich wiedererkannt ?«
»Nicht sofort. Aber als sie sagte, wer sie war, da fiel es mir wieder ein. Sie wollte auch nicht unbedingt jemanden sehen, sie wollte nur eben einen Brief schreiben, bevor sie wieder ging .«
»Und wie war sie ?«
»Schön .«
»Das meine ich nicht. Schien sie es eilig zu haben oder so ?«
Issam denkt nach. »Sie wirkte ganz normal .«
»Ist das alles ?«
Issam wirft seinem Großvater einen fragenden Blick zu und macht den Mund nicht mehr auf.
Ich wende mich an Yasser und fahre ihn an: »Du sagst, dass du sie nicht getroffen hast. Von Issam erfahren wir nichts, was wir nicht schon wussten. Was berechtigt dich also zu behaupten, meine Frau sei in Bethlehem gewesen, um sich von Scheich Marwan segnen zu lassen?«
»Jeder Straßenjunge kann dir das bestätigen«, gibt er zurück. »Ganz Bethlehem weiß, dass Sihem am Abend vor dem Attentat dort war. Sie ist seitdem zu einer Art Ikone hier in der Stadt geworden. Manche schwören sogar, mit ihr geredet und ihr die Stirn geküsst zu haben. Das sind bei uns normale Reaktionen. Ein Märtyrer regt die Phantasie an wie sonst niemand. Mag sein, dass die Gerüchteküche zu heftig brodelt, aber jedenfalls erzählt alle Welt, dass Sihem an jenem Freitag von Scheich Marwan gesegnet wurde .«
»Haben sie sich in der Großen Moschee getroffen ?«
»Nicht während des Gebetes. Erst sehr viel später, nachdem alle Gläubigen heimgekehrt waren.«
»Aha.«
Am nächsten Morgen gehe ich in aller Frühe in die Moschee. Einige Gläubige sind gerade mit ihren Verbeugungen fertig und erheben sich von den großen gesteppten Decken, mit denen der Boden ausgelegt ist. Andere sitzen still in ihrer Ecke und lesen im Koran. Ich ziehe meine Schuhe aus und trete über die Schwelle. Ein Greis, den ich frage, ob es irgendwo einen Verantwortlichen gibt, beugt sich tief nach unten, empört, mitten im Gebet gestört zu werden. Ich blicke mich suchend nach jemandem um, der mir Auskunft erteilen könnte.
»Ja ?« , schnarrt eine Stimme hinter mir.
Zur Stimme gehört ein langer junger Mann mit ausgezehrtem Gesicht, tiefliegenden Augen und Hakennase. Ich reiche ihm die Hand, doch er übersieht sie. Mein Eindringen beunruhigt ihn, mein Gesicht ist ihm fremd.
»Doktor Amin Jaafari.«
»Ja …?«
»Ich bin Doktor Amin Jaafari .«
»Das habe ich gehört. Was kann ich für Sie tun ?«
»Mein Name sagt Ihnen nichts ?«
Er verzieht unschlüssig das Gesicht: »Nicht dass ich wüsste .«
»Ich bin der Ehemann von Sihem Jaafari .«
Der junge Mann kneift die Augen zusammen und denkt eine Weile nach. Plötzlich legt sich seine Stirn in Falten, sein Gesicht verfärbt sich grau. Er legt die Hand aufs Herz und ruft: »Mein Gott! Wo hatte ich nur meinen Kopf ?« Er überhäuft mich mit Entschuldigungen.
»Wie unverzeihlich von mir!«
»Halb so wild.«
Er breitet die Arme aus und drückt mich an seine Brust. »Bruder Amin, es ist mir eine Ehre und ein Privileg, Sie kennen zu lernen. Ich werde Sie auf der Stelle dem Imam ankündigen. Ich bin mir sicher, er wird entzückt sein, Sie zu empfangen .«
Er bittet mich, im Gebetssaal auf ihn zu warten, hastet zum Minbar, hebt einen Vorhang an und verschwindet in einem Hinterzimmer. Die wenigen Gläubigen rings an den Wänden, die im Koran lasen, mustern mich neugierig. Meinen Namen haben sie zwar nicht gehört, wohl aber den plötzlichen Umschwung im Verhalten des
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