Die Attentaeterin
jungen Mannes bemerkt, bevor er loslief, um seinen Meister zu informieren. Ein Dicker mit Vollbart legt sogar seinen Koran hin und starrt mich derart unverhohlen an, dass es mir schon peinlich ist.
Ich glaube zu sehen, wie der Vorhang sich kurz öffnet und wieder zu Boden fällt, doch niemand taucht hinter dem Minbar auf. Fünf Minuten später ist der junge Mann zurück, sichtlich verärgert.
»Es tut mir leid. Der Imam ist nicht da. Er muss gegangen sein, ohne dass ich es merkte .«
Er spürt, dass wir von den anderen Gläubigen beobachtet werden, und zwingt sie mit seinem schwarzen Blick, sich abzuwenden.
»Zum Gebet ist er doch wieder zurück ?«
»Natürlich …« Er besinnt sich und fügt hinzu: »Ich weiß nicht, wohin er sich begeben hat. Schon möglich, dass er mehrere Stunden lang wegbleibt.«
»Das macht nichts. Ich werde hier auf ihn warten .«
Der junge Mann wirft einen bestürzten Blick Richtung Minbar, schluckt spürbar und sagt:
»Es ist nicht sicher, dass er vor Sonnenuntergang zurück ist .«
»Kein Problem. Ich habe Geduld .«
Überfordert hebt er die Arme und zieht sich zurück.
Ich mache es mir im Schneidersitz am Fuß einer Säule bequem, nehme ein Buch mit den gesammelten Sprüchen des Propheten zur Hand, lege es mir auf die Knie und schlage es irgendwo auf. Der junge Mann kommt zurück, tut so, als unterhielte er sich mit einem Greis, läuft eine Weile ziellos durch den Gebetssaal wie ein Tiger im Käfig und verschwindet schließlich auf die Straße.
Eine Stunde geht vorbei, dann eine zweite. Gegen Mittag stehen plötzlich drei junge Männer vor mir, aus dem Nichts aufgetaucht, machen mir nach den üblichen Begrüßungsfloskeln klar, dass meine Anwesenheit in der Moschee nicht erwünscht sei, und bitten mich, den Raum zu verlassen.
»Ich möchte den Imam sprechen .«
»Er ist unpässlich. Es ging ihm heute früh nicht gut. Er wird die nächsten Tage über nicht hier sein .«
»Ich bin Doktor Amin Jaafari …«
»Schon gut«, unterbricht mich der Kleinste von ihnen, ein Typ von vielleicht dreißig Jahren, mit hervorspringenden Wangenknochen und zerfurchter Stirn. »Gehen Sie jetzt bitte nach Hause .«
»Nicht, bevor ich den Imam gesprochen habe .«
»Wir geben Ihnen Bescheid, sobald es ihm wieder besser geht .«
»Und Sie wissen, wo Sie mich erreichen können ?«
»In Bethlehem spricht sich alles herum .«
Sie schieben mich freundlich, aber bestimmt Richtung Ausgang, warten geduldig, bis ich meine Schuhe wieder anhabe, und geleiten mich schweigend bis zur nächsten Straßenecke.
Zwei der drei Männer, die mich eskortiert haben, beschatten mich, ganz ohne Versteckspiel, bis zur Innenstadt. Sie wollen mir zeigen, dass sie mich im Auge behalten und es ratsam für mich wäre, nicht noch einmal umzukehren.
Es ist Markttag. Auf dem Platz wimmelt es nur so von Menschen. Ich gehe in eine Kaschemme, bestelle einen Espresso ohne Zucker, verbarrikadiere mich hinter einer von Fingerabdrücken und Fliegendreck übersäten Fensterscheibe und überwache das brodelnde Treiben auf dem Souk. Im Raum, der mit ächzenden Stühlen und einfachen Tischen überfüllt ist, sitzen ein paar triste alte Männer unter dem leeren Blick des Barkeepers herum, der hinter seinem Tresen klebt. Neben mir zieht ein gepflegter Fünfziger an seiner Wasserpfeife. Weiter hinten spielen ein paar junge Männer lärmend Domino. Ich rühre mich bis zur Gebetsstunde nicht vom Fleck. Als der Ruf des Muezzins ertönt, beschließe ich, zur Großen Moschee zurückzukehren, in der Hoffnung, den Imam in Ausübung seines Amts vorzufinden.
Am Eingang des Viertels werde ich von den beiden Männern abgefangen, die mich am Vormittag beschattet haben. Sie sind nicht erfreut, mich zurückkommen zu sehen, und lassen mich nicht zur Moschee durch.
»Was Sie da tun, ist gar nicht gut, Herr Doktor«, rügt mich der Größere.
Ich kehre zu Leila zurück und warte das nächste Gebet ab.
Wieder werde ich, bevor ich die Moschee erreichen kann, aufgehalten. Diesmal hat sich ein dritter Mann zu meinen beiden Schutzengeln, die meine Hartnäckigkeit wütend macht, gesellt. Er ist gut gekleidet, nicht sehr groß, aber kräftig, mit schmalem Schnauzer und dickem Silberring. Er bittet mich, ihm in eine Sackgasse zu folgen, und dort, geschützt vor indiskreten Ohren, fragt er mich, was der Zweck meines Vorhabens sei.
»Ich möchte den Imam sprechen .«
»Aus welchem Grund?«
»Sie wissen ganz genau, warum ich hier bin .«
»Mag sein, aber
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