Die Attentäterin
ein Fehler. Je mehr sie reibt, desto roter wird ihre Haut und desto mehr beklagt sie sich. Das bringt sie in Rage, und der plötzliche Wutanfall spricht ihre Instinkte an. Die Verwandlung beginnt, bevor sie sie stoppen kann, bevor sie überhaupt bemerkt, daß sie begonnen hat. Und einmal begonnen, muß sie feststellen, daß sie nicht die erforderliche Willenskraft hat, sie zu stoppen. Irgendwie scheint es an dieser Nacht zu liegen. Fell überzieht ihre Haut. Ihr Körper wird länger und kräftiger. Ihr Atem wird zu einem heiseren Grollen, das zu tief und voll für alle auch nur entfernt menschenähnlichen Wesen ist. Sie läßt sich auf alle viere sinken und kehrt in das Wohnschlafzimmer zurück.
Das durch die Fenster fallende Mondlicht bewirkt, daß sich ihr Rückenfell sträubt. Ihre Ohren zucken, als sie plötzlich den Drang verspürt zu knurren, zu grollen, zu brüllen, der Nacht ihre Existenz zu verkünden, ihre Herrschaft über die Stadt zu erklären, aber sie widersteht dem Drang. Ein Sieg der Vernunft. Unzufrieden streckt sich Tikki und gähnt, läßt sich bäuchlings auf die Matratze sinken. In einer Nacht wie der heutigen, wo der Mond am Himmel steht und sich ihre Raubtierseele danach sehnt, wild und frei herumzulaufen, sollte sie sich irgendwo in der Wildnis befinden, in den dunklen Gefilden eines primitiven Landes wie dem Waldland um Seattle oder den Wäldern und Flußtälern der Mandschurei und Südostsibiriens... Schleichen... Jagen... sich aus dem Gebüsch an einem Wasserloch erheben... wie der Blitz zuschlagen... Lautlos und rasch... Beute erlegen...
Das Leben in der Wildnis ist so einfach. Sie ist dafür geboren. Sie versteht es. Sie kennt es so gut, daß sie dort handeln kann, das Richtige tun kann, ohne nachdenken zu müssen. Im Vergleich dazu erscheint ihr das Leben unter den Menschen oft...
Kompliziert...
Schwierig, nur darüber nachzudenken.
Sie legt den Kopf auf ihre gekreuzten Vordertatzen, dann wälzt sie sich auf die Seite und schaut hinauf zu den Fenstern.
Heute nacht hat sie drei Menschen erlegt und zwei weitere entkommen lassen. Die drei, die sie getötet hat, derjenige namens Hammer und seine Kumpane, haben verdient, was sie bekommen haben. Die Todesdrohung mußte mit Tod beantwortet werden. Ihr Instinkt befahl es. Wenn sie diese drei Männer nicht getötet hätte, würden sie sie jetzt immer noch jagen, so lange, bis sie sie finden und töten würden.
Der Konkurrenzkampf zwischen den Jägern ist ebensosehr ein Teil der Welt wie Leben und Tod, und so muß es auch sein. Der Jäger, der sein Revier mit anderen Jägern teilt, wird sehr bald schwach und stirbt an Beutemangel. Das heißt nicht, daß jede Tötung richtig oder gerechtfertigt ist, auch nicht für sie. Es bedeutet, daß es besser ist zu töten, als getötet zu werden, daß es besser ist zu herrschen, als sich zu unterwerfen.
Wäre es Tikki bestimmt, ihre Kehle darzubieten und sich von jedem Tier, zweibeinig oder vierbeinig, umbringen zu lassen, hätte ihr die Natur nicht die Seele eines Jägers und die Waffen zur Jagd mitgegeben.
Was soll dann aber ihre menschliche Gestalt? Welchen Sinn hat sie? Ist sie lediglich eine betrügerische Maske? Das kann sie sich kaum vorstellen. Tikki ist zu der Ansicht gelangt, daß die Natur ihr nicht die Möglichkeit gegeben hätte, sich als Mensch auszugeben, wenn sie ihr nicht eine bedeutsame Rolle im Reich der Menschen zugedacht hätte. Ihr Problem ist, daß sich die Definition dieser Rolle, ihrer richtigen Rolle unter den Menschen, als ebenso schwierig für sie erwiesen hat, wie es für ihre Mutter war.
Ihre Mutter hat oft gesagt, Tikki müsse ihren eigenen Weg finden. Das hat sie ihr ganzes Leben lang getan, angefangen von ihrer Kindheit in Seoul und Schanghai bis hin zu ihren Erfahrungen in Seattle und zur Gegenwart hier in Philadelphia. Hierher geführt hat sie die Suche nach einem Mann, der sie benutzt hat. Dieser Mann wollte sie töten lassen, um seine eigenen Pläne zu fördern. Sie fragt sich jetzt, ob sie ihn je finden, und wenn ja, was sie dann tun wird.
Aber darum geht es im Moment nicht.
Heute nacht...
Die Dinge laufen nicht so, wie sie sollten. Darum ist sie auch hierher nach Nordostphilly gekommen, anstatt einen ihrer üblichen Schlupfwinkel aufzusuchen, und darum hat sie sich auch noch nicht bei Adama gemeldet.
Sie versteht nicht, warum sie Hammer nicht am Leben gelassen hat, um ihn zu verhören. Das hätte sie tun müssen, und sei es auch nur, um die Identität
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