Die Aufrichtigen (German Edition)
Augen ausstach, Nasen und Ohren abschnitt oder sie einfach vor den Augen ihrer Mütter verbluten ließ. Das war der Gottesstaat, den Pavelic mit Lob und Segen der Kurie errichtet hat. Er, Ante Pavelic, war der besondere Liebling von Pius XII., ein guter Katholik eben. Nun, geht dir langsam ein Licht auf, mein Lieber, dämmert dir langsam, warum ich mich so aufrege?«
»Warum tust du mir das an, Max? Warum lässt du unseren Vater nicht in Frieden ruhen?«, der Professor war den Tränen nahe.
»Weil wir auch dann nicht schweigen dürfen, wenn es um die Menschen geht, die wir lieben«, sagte Dr. Albertz. »Wie du weißt, ist die Kirche im Aufwind, das Wunder scheint perfekt, ebenso unerhört, wie das Wirtschaftswunder. Statt dass der Papst, der neue deutsche Papst besonders, ein Schüler Faulhabers übrigens, die Verantwortung übernimmt dafür, was die Kirche, die er repräsentiert, angerichtet hat, statt dessen inszeniert er auf den Totenschädeln der Ermordeten ein Schauspiel, das Seinesgleichen sucht.«
»Meinst du seinen Besuch in Auschwitz?«, fragte der Professor.
»Ja, genau den meine ich«, antwortete Dr. Albertz mit bösem Grinsen. »Uns kann er nicht täuschen, wir kennen die Wahrheit darüber, was wirklich geschehen ist. Aber unsere Kinder und deren Kinder, denen wir nie etwas gesagt haben, die wissen es nicht, die sind der Inszenierung schutzlos ausgeliefert. Die Welt jubelt ihm zu, diesem neuen Papst und wir schweigen dazu!«
»Was stört dich an diesem Besuch?«, fragte der Professor.
»Was mich stört, fragst du?«, antwortete Dr. Albertz vor Zorn beinahe schreiend.
Er holte einen Zettel aus seiner Brieftasche.
»Ich finde seine Rede in Auschwitz so famos, dass ich sie dir zeigen wollte. Ich habe sie deshalb von der Homepage des Vatikans heruntergeladen. Den Anfang liebe ich besonders, willst du ihn hören?«
»Ich weiß nicht wohin uns das Gespräch führen soll?«
»Natürlich, es ist ja erst ein paar Jahre her, es ist noch keine Geschichte, nichts, was den Herrn Professor interessiert. Ich will es dir aber dennoch vorlesen, hör‘ zu:
An diesem Ort des Grauens, einer Anhäufung von Verbrechen gegen Gott und den Menschen ohne Parallele in der Geschichte zu sprechen, ist fast unmöglich – ist besonders schwer und bedrückend für einen Christen, einen Papst, der aus Deutschland kommt. An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen? Warum konntest du dies alles dulden? «
»Oh mein Gott!«, entfuhr es dem Professor, »was muss man für ein armseliger Heuchler sein, um an einem solchen Ort so etwas zu sagen!«
Dr. Albertz schwieg, sein Atem wurde allmählich langsamer.
»Konstantin hat Recht«, sagte er dann. »Der Papst muss die Verantwortung für die katholische Kirche übernehmen. Dieser Glaube wird nie der Geschichte angehören, wenn wir nicht irgendwann damit aufhören. Die Geschichte wiederholt sich, das weißt du besser als ich, und sie übertrifft sich bei jeder Wiederholung. Was geschieht beim nächsten Mal? Ich habe Angst davor! Welche Waffen segnen die Pfaffen dann?«
»Glaubst du im Ernst, Max, dass der Papst die Verantwortung übernehmen wird? Ihn persönlich trifft doch keinerlei Schuld. Glaubst du wirklich, dass er die Welt mit dieser Rede hintergehen wollte, um seine Kirche besser dastehen zu lassen?«
»Ach was«, antwortete Dr. Albertz. »Du hast es noch immer nicht begriffen, nicht wahr? Du hast keine Vorstellung von dem ganzen Ausmaß! Was hast du eben gesagt? Was muss man für ein armseliger Heuchler sein, um an solch einem Ort so etwas zu sagen?«
Der Professor nickte.
»Nun, mein Lieber, ist es nicht viel schlimmer?«
»Weshalb?«, fragte der Professor.
»Der Papst ist ganz sicher kein Heuchler«, antwortete Dr. Albertz. »Er glaubt jedes einzelne Wort, das er sagt, ohne Heuchelei, ohne Zynismus, ohne jeden Hintergedanken. Er ist davon überzeugt, das Richtige zu tun, so wie du, so wie ich, so wie jeder von uns!«
Die beiden alten Männer schwiegen und sahen in dem engen Raum aneinander vorbei. Nach einer Weile stand der Professor auf und legte die Hand auf Dr. Albertz‘ Schulter.
»Ich habe immer gewusst, dass du ein guter Mensch bist, Max«, sagte er, »du täuschst dich in dir selbst, wenn du das leugnest.«
Dr. Albertz griff nach der Hand des Professors.
»Wir sind so alt geworden,« sagte er sanft, »unser Leben entflieht! Willst du
Weitere Kostenlose Bücher