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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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dass er sich in seinen Schreibtischstuhl zurücksinken ließ. Er verbarg das Gesicht hinter den flachen Händen und dachte nach.
    Alle Spuren, die er gelegt hatte, führten bei Julia zusammen. Er hatte ihr Schwester und Mutter genommen. War das der Grund, weshalb er sie manchmal kaum anzusehen wagte? Sie würde die richtigen Schlüsse ziehen, sie würde mit ihrem meisterlichen Sinn für Zusammenhänge alles richtig deuten und verstehen, dass ihr Vater in einem schwachen Moment gestrauchelt war. Dann würde sie in dem doppelten Boden des Geheimfachs all die Aufzeichnungen und Materialien finden, irgendwann, und könnte ein neues, echtes Gutachten über die vermeintlichen Fragmente des Ammianus Marcellinus verfassen. So fiele dieser Ruhm ihr zu und gäbe ihr die Möglichkeit, das begonnene Werk weiterzuführen. Und wer weiß, vielleicht hätte sie sogar ein wenig Mitleid für ihn übrig, den alten gefallenen Mann. Schließlich war er doch wegen seiner Sehnsucht gestürzt. Vielleicht würde sie sogar ein wenig um ihn weinen. Sein Geheimnis war bei niemandem besser aufgehoben.
    Im Laufe so vieler Jahre hatte er gelernt, alles Tragische an sich zu belächeln, jedes tiefere Gefühl als Unart zu bekämpfen, mit derselben spielerischen Strenge mit der man den schlechten Tischgewohnheiten kleiner Kinder begegnet. Die übergroße Liebe zu seiner Frau und das unüberwindliche Leid nach ihrem Tode, hatten ihn gelehrt, den menschlichen Regungen zu misstrauen. Er fühlte sich besser, wenn er hart gegen sich selbst war. Schnell nahm er das große Kruzifix vom Schreibtisch, steckte den Nagel zurück, rückte den Sessel zurecht und stellte es aufrecht gegen die Lehne. Dabei fiel sein Blick auf die Leidensmiene des Gekreuzigten. Am Wenigsten verstand er, weshalb die Christen eine geschundene Kreatur anbeten. Gefiel es ihnen, sich an ihrem Schmerz zu weiden oder war es schlichtweg nur die Erleichterung, einen Stellvertreter für die Qual gefunden zu haben? Freilich, in der Spätantike oder im Mittelalter waren die Leute weiß Gott nicht zimperlich gewesen. Aber heute? Die Menschen bewunderten noch immer die sakrale Kunst, anstatt zuzugeben, welchen Abscheu die Bilder der gemarterten Heiligen oder die in Goldbrokat gehüllten Reliquien in ihnen hervorriefen. Oder ging es tatsächlich nur dem Professor so? Spürte nur er die wollüstige Anziehung des Morbiden?
    Es brauchte mehrere Versuche, ehe das Kruzifix richtig auf dem Sessel stand. Mit Kennerblick tat er einen Schritt zurück und beurteilte seine Installation. Doch etwas fehlte noch — er wollte mehr Deutlichkeit. So stellte er den Fußschemel vor den Sessel, ging zum Bücherregal, tastete die Buchrücken ab und griff endlich im hintersten Winkel nach einer sehr schönen Bibelausgabe, die sein Doktorvater ihm geschenkt hatte, als er seinen ersten Lehrauftrag annahm. Er schlug die Stelle im Neuen Testament auf, die ihm für seinen Zweck am Besten geeignet erschien. Es war der Brief des Apostels Paulus an die Hebräer, das neunte Kapitel.
    Und fast alle Dinge werden mit Blut gereinigt nach dem Gesetz,
    denn ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung.
    Nun war er mit dem Arrangement zufrieden. Damit ließ sich zeigen, welche Disziplin er aufzubringen im Stande war, was Härte gegen sich selbst bedeutet. Er nahm den Brief seiner Frau vom Schreibtisch, um ihn bereit zu haben. Denn zu allerletzt wollte er diesen Brief noch einmal lesen, wenn alles andere getan war. Es war das Letzte, was er auf dieser Welt hatte.
    Bei genauer Betrachtung, dachte der Professor, war es nur konsequent und gar nichts Ungewöhnliches, in seiner Situation diese Form des Todes zu wählen. Dass er rechtzeitig darauf gekommen war, schien ihm ein Privileg zu sein. Es war der Tod der Philosophen, der Staatsfeinde und all derer, die keiner länger ertragen konnte. Vom Forscher, vom gewichtigen Geschichtswissenschaftler war er durch eigene Schuld zum einsamen Wissenden geworden, von der eigenen Schwäche in die Falle gelockt. Zu sterben war das Mindeste, was er sich abverlangen musste. Wie kaum ein anderer kannte er die geheimen Zusammenhänge, die Regeln, die jene am wenigsten kennen, die sie befolgen. Immer schon wollte er herausfinden, ob sie wissen was sie tun, wenn sie ihre Macht über andere missbrauchen. Er wollte wissen, ob etwas Bewusstes, etwas Planmäßiges in ihrem Handeln lag, oder ob sie von sich selbst glaubten, es gut zu meinen, gut und gerecht zu handeln. Hierin lag des Rätsels Lösung. Denn wäre

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