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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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hatte. Unwillkürlich musste er an die unwürdige Szene bei den Schließfächern denken. Er verzog das Gesicht. Wieso besaß nicht einmal der letzte Moment auf dieser Seite des Vorhangs ein wenig Würde? Warum gar nichts Erhabenes? Endlich fand der Rand des Bechers zum Mund. Der Professor trank, in einem Zug.
    Das Beruhigungsmittel schien sofort zu wirken. Der Professor schmeckte nicht einmal die Bitterkeit des Getränkes. Die Angst war gänzlich gewichen und machte einer weichen Wehmut Platz. Sie verwandelte sich in Reue, als er an Julia, seine große Tochter dachte. Wie gern hätte er ihr noch so Vieles gesagt. Wie schmerzlich, ein Leben mit ihr versäumt zu haben. Das Beruhigungsmittel aber bettete ihn in Watte, saugte die Trauer auf. Auf dem Tischchen an der gegenüberliegenden Wand stand das Telefon. Der Professor ging hin, ganz ruhig und leicht, griff nach dem Hörer wie in Wolken und drückte die Wahlwiederholungstaste. Es war dreiviertel eins. Nach dem Piepton von Julias Anrufbeantworters sprach er die wenigen Sätze, die ihm noch blieben. Es schien als habe er sich alles von der Seele geredet. Das erfüllte ihn für eine Sekunde mit Glück. So schwebte er zurück zum Schreibtisch, um endlich den Brief seiner Frau zu lesen, die Wirkung des Coniin konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen.
    Das letzte, was der Professor noch bewusst wahrnahm, war der widerliche Brechreiz in seiner Kehle. Sein Körper rebellierte, doch er konnte sich nicht übergeben. Die Hand, in der er den Brief hielt, krampfte sich zusammen, dann zuckte der ganze Arm. Er versuchte, mit der anderen Hand danach zu greifen, um den Arm unter Kontrolle zu bekommen. Seine Beine sackten weg, er stürzte zu Boden. Jetzt zuckten beide Arme, dann auch die Beine, der Hals, der ganze Leib warf sich wie an Schnüren gezogen auf dem Fußboden hin und her. Er wollte schreien, doch sein Mund ließ sich nicht mehr öffnen. Noch hatte er den Brief nicht gelesen, noch war er am Leben und bei Verstand, noch war sein Plan nicht vollendet.
    Er spürte seine Beine nicht mehr. Warum wirkten die Beruhigungstabletten nicht, warum versagten sie einfach? Er hätte mehr Wert darauf legen müssen, Opium zu bekommen. Die Beine waren bis zu den Kniekehlen hoch gelähmt. Deshalb zog er sich mit den Armen am Schreibtisch entlang. Er wollte um jeden Preis zurück auf den Stuhl, um den Brief noch einmal zu lesen. Das Atmen fiel immer schwerer. Endlich war er dort. Mit seinem ganzen Willen zwang er die Arme, nach den Oberschenkeln zu greifen, um sie aufzustellen. Die Arme gerieten darüber ins Vibrieren. Jetzt zitterte der Kopf. Mit letzter Kraft richtete er sich auf. Er kniete vor der Sitzfläche des Schreibtischstuhls. Unmöglich noch einmal darauf zu sitzen. Er würde den Brief so lesen müssen. Da zuckte der Arm so heftig, dass der Schreibtischstuhl nach hinten umfiel. Der Leib des Professors bäumte sich vor Schmerzen auf. Alles Fleisch war ein starrer Krampf geworden. Er fand keinen Halt mehr, nirgendwo. Es sah aus, als kniete er vor dem Kruzifix auf dem Sessel.
    »Es sieht nur so aus! Es sieht nur so aus!«
    Luft! Luft! Seine Brust hob sich nicht mehr, sie brannte, der ganze Körper hatte Feuer gefangen. In einer heftigen Bewegung riss er das Hemd auf, zog den Seidenschal weg, der die Würgemale verdeckte, die sein Bruder ihm zugefügt hatte. Der Mund brach auf, die Augen traten aus den Höhlen, die Arme zuckten weit auseinander – dann brachen dem Knienden die Beine weg.
     
     
     
Pelagius
Hat der Mensch einen freien Willen? Kann der Mensch von sich heraus gut sein? Braucht der Mensch die Kirche als Mittler zwischen Gott und sich selbst? Ist der Mensch mit der Sünde Adams belastet, der Erbschuld? Ist es durch Gott bereits vorherbestimmt, wer dem Höllenfeuer anheimfallen und wer ins Paradies gelangen wird? Der Streit des Augustinus mit Pelagius, einem aus Britannien stammenden Mönch, ist als Gnadenstreit in die Geschichte eingegangen. Augustinus hat sich auch gegen Pelagius mit Hilfe der römischen Staatsmacht durchgesetzt, auch Pelagius ist als Häretiker verurteilt worden.
Pelagius war davon überzeugt, dass der Mensch von sich aus, ohne die Gnade Gottes, gut sein könne. Der Mensch habe einen freien Willen und es sei nicht vorherbestimmt, wer in den Himmel komme und wer nicht. Die Einkehr ins Reich Gottes hänge nicht von der Gnade Gottes ab, sondern von den eigenen guten Werken. Die Hölle als einen Ort körperlicher Qualen lehnte er ab und schrieb es

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